Rezensionsrezension

Der „heilige Trinker“ Joseph Roth war kein ausdauernder Leser, dafür aber ein höchst eifriger Rezensent. Warum ein Buch genau studieren, wenn sich über das Werk eine unterhaltsame Geschichte erzählen lässt, an die nur ein scharfes Urteil gehängt werden muss? Seinem Mitgenossen im Exil, dem Schriftsteller und Verleger Hermann Kesten – wie so viele Juden waren sie vor den Nationalsozialisten geflohen –, legte er einst eine Kritik zu dessen jüngster Publikation vor, damit dieser sie vor der Veröffentlichung begutachtete. In der hieß es ursprünglich am Schluss: „Ich verstehe den Roman nicht. Vielleicht ist Kesten ein großer Humorist.“ Der angesprochene Autor strich den vorletzten Satz und das Wort „vielleicht“. So erschien der Text dann auch. Und Kesten hatte sich als genau der erwiesen, als der er durch seine Streichungen von allen definitiv wahrgenommen werden wollte: als Mann, der mit großem Ernst nicht alles im Letzten ernst nimmt.