Schon fertig?

Aus dem noch ungeschriebenen Roman:
Seit seiner Konfirmation trägt er die goldene Taschenuhr. Der Vater, ein gründlicher Ingenieur alter Schule, hatte sie ihm damals geschenkt, ein Erbteil, das nun in der vierten Generation genutzt wurde. Es war ihm anfangs wie eine schwer lastende familiäre Verpflichtung erschienen, das Stück Tag für Tag im Hosensack mitzuschleppen. Doch er gewöhnte sich schnell dran. Inzwischen kann er sich nicht mehr vorstellen, um das Handgelenk jemals eines dieser trendigen Messgeräte zu legen, die die Pulsfrequenz, die täglichen Übungszeiten oder den Aufenthaltsort registrierten. Es würde ihn einschnüren, den Atem rauben, die Freiheit gefährden. Seiner Gewohnheit nach schaute er alle halbe Stunde auf den schlichten, in der Einfachheit aber vollkommen schönen Chronographen. Es war fast wie eine Sucht. Er zog die Uhr aus der Jackentasche, klappte den blank polierten, glatten Deckel auf und verschob kaum merklich die Gesichtszüge zu einer Miene, als hätte er gerade erfahren, dass er wenig nur noch zu leben hätte. Doch die aktuelle Zeit kümmerte ihn nicht, im Gegenteil. „So früh noch“, schien er jedesmal zu denken. Sein Leben empfindet er als einen zermürbenden Kampf gegen die Langeweile, den er oft verliert. Eigentlich ist er schon immer fertig. Seitdem er denken kann, kennt er die Antworten. Fragen? Was für Fragen? murmelte er. „Wer Fragen hat, der hat an Willen zu viel, was ihm an Wissen abgeht.“