Selbstaufgabe

Kapitulation steht in keinem guten Ruf, wenn es darum geht, eine erbittert geführte Auseinandersetzung zu beschwichtigen. Sie steht im Verdacht, vor dem gewaltigen Anspruch der Selbstbehauptung feige eingeknickt zu sein. Der Doppelsinn von Aufgabe, lösen zu müssen, was ansteht (mir ist aufgegeben), und daran zu scheitern (ich gebe auf), spiegelt aber wider, dass es sich nicht nur um den Verzicht handelt, das Eigene ins Zentrum des Tuns rücken zu müssen. Aufgeben bedeutet, die Würde des selbstbestimmt Agierenden gerade in dem Augenblick sichtbar werden zu lassen, in dem sie am meisten bedroht ist. Es ist der Übergang ins Leiden, der Wechsel ins pure Passiv, der ansteht, und der nun vermieden wird, indem ein Mensch es vorzieht, das Ende zu setzen, bevor es ihm gesetzt wird. Für einen Moment blendet er aus, dass nichts dabei seiner Intention entspricht, dass hier kein Raum mehr für die eigenen Wünsche vorhanden ist. Fast möchte man sagen, er handelte, als ob… Denn wer aufgibt, spürt die Unausweichlichkeit eines Zwangs. Und doch erinnert er sich ausgerechnet jetzt seiner Freiheit, die er noch einmal der Notwendigkeit dessen, was ohnehin geschehen wird, erschöpft triumphierend entgegen hält. Auch das Wort „Passion“, der an diesem Karfreitag gedacht wird, übernimmt diese zweifache Bedeutung, Leiden und Leidenschaft zu sein, passiv und aktiv zugleich. Seltsam, dass die deutsche Sprache diesen kleinen Stolz abbildet, indem sie eine Verwandtschaft zwischen der Resignation und der Initiation entdeckt. „Aufgabe“ meint beides: Ende und Anfang, ablassen und anpacken. Dass Gott, über den hinaus Größeres nicht gedacht werden kann*, sich selbst aufgibt (über das hinaus Geringeres nicht geschehen kann), um so zu retten, was zu retten ist, mag die Ungeheuerlichkeit dessen anzeigen, was im Tod Jesu auf dem Spiel steht. Dem Bösen wird die Macht genommen, mit dem Letzten drohen zu können: der Vernichtung – auch wenn es immer noch die Macht hat, es auszurichten. Auferstehung ist der Gewinn einer Freiheit, die nicht mehr gezwungen ist, Angst haben zu müssen.

* Siehe Anselm von Canterbury, Proslogion, II