Sicher ist sicher

Wie aus den Zeiten, da die Religion für alles einstehen musste, was sich anders nicht erklären ließ und als Lückenfüller stets ein zeitlich befristetes Verhältnis zum Ort der Vakanz einnahm, mutet an, was im englischen Versicherungsrecht act of God heißt: alles, was sich der menschlichen Kontrolle entzieht, was unvorhergesehen als Naturgewalt, als Erdbeben, Tsunami, Wetterkatastrophe, über eine Region hereinbricht. Wo die Gelegenheit fehlt, jemanden verantwortlich zu machen, tritt symbolisch das Gotteshandeln ein, allerdings nicht so, dass sich daraus juristische Ansprüche, etwa eines Schadensersatzes, ableiten ließen. Im Gegenteil, statt Gnade vor Recht ergehen zu lassen, tritt die Ausnahme vom Vertrag in Kraft. Die Höhere Gewalt bekommt zwar einen Namen, aber der tröstet nicht, sondern taugt allenfalls als dürre Ausrede, für nichts einstehen zu müssen. Sinnfrei, also nicht einmal als strafendes Grollen zu deuten, bleibt der „Akt Gottes“ eine Leerformel und bietet somit alles an, was die Aufklärung der Religion einst vorgehalten hatte. Jeder, der mit ihr auch nur den geringsten positiven Inhalt verbindet, gerät in die Falle einer späten Theodizee, die fragen müsste, was es denn für ein Gott (gewesen) sei, der sein letztes Asyl in der Rechtsabteilung einer Rückversicherung gefunden hat(te) und der dienstlich vorgeschickt wird, wenn den eifrigen Angestellten die Muffe angesichts der Schadenshöhe geht. Theologisch ist das freilich nicht konsistent, wie so manches selbst in Glaubensfragen. Wenn man schon den act of God als entkernten Plausibilisierungsgrund für Schreckliches anfügt, dann müsste ein solch willkürlicher Weltenregent allerdings auch für alles andere herhalten können: für fehlende Beitragszahlungen, versäumte Pflichten, Kündigungen der Policen, Versicherungsbetrug. Das wussten Religion und ihre Kritik schon immer: Bei Gott geht es ums Ganze oder um nichts. Er eignet sich weder als Erklärung noch als Entschuldigung, ist nicht verantwortlich zu machen und sinnvoll nicht vereinnahmbar. Nur dem Frommen mag dieser anspruchsfreie Raum in der Schadensabwicklung wie ein Menetekel erscheinen: als Erinnerung an das, was Menschen einst veranlasste, eine Vorform der Versicherung zu gründen, die Einsicht in die Unerquicklichkeit, nach Gründen zu suchen für ein missliches Los (siehe auch Joh. 9,3). Die früheren Vereine auf Gegenseitigkeit, in denen Nachbarn füreinander einstanden, wenn einem das Haus abgebrannt war, rückten von der Frage ab, was das denn für eine Strafe sei, sondern richteten den Blick auf die notwendige Hilfe als verbindliche Übersetzung des Gebots der Nächstenliebe. Das kann nur, wie jede Unterstützung, gelingen, wenn man auf Ursachenforschung verzichtet (nicht etwa fragt, was ein Mensch denn Böses getan habe, dass ihm dieses zustößt) und sich auf die Behebung der Folgen konzentriert. Selbst wenn der Schaden unmäßig ist, bringt es nichts zu vermuten, dafür könne nur ein act of God in Frage kommen, weder theologisch noch psychologisch. Aber versicherungsrechtlich wirkt der Ausdruck wie ein ironischer Hinweis, man möge sich doch zuständigkeitshalber an eine höhere Instanz wenden, um das Problem der Kompensation zu klären. Immerhin sei man ein ausgewiesener Experte für die Zuordnung von menschlichem Leid.