Text und Autor

Es gibt Worte, die so stark sind, so eingängig, so selbstverständlich und dennoch zuvor nie ausgesprochen, dass sie sich von ihrem Urheber lösen, kaum dass sie öffentlich werden. Solche Texte suchen sich ihren Autor, weil der Autor, der sie geschrieben hat, nicht stark genug gewesen zu sein scheint, die Beziehung zu ihnen zu halten. Eine liebe Freundin schickt ein Gedicht von Joseph Beuys als Weihnachts- und Gruß zum Jahreswechsel, ein beschwörendes Stück voll schönster Lebensklugheiten und Allerweltsweisheiten. Nur dass es nicht vom berühmten Künstler stammt, wie in der Unterzeile behauptet, sondern von Susan Ariel Rainbow Kennedy, genannt: SARK, die es als Poster gestaltete und die in San Francisco als Schriftstellerin, vor allem aber als Expertin arbeitet fürs persönliche Wohlgefühl. Im Original heißt es „How to be an artist“; unter dem Namen „Beuys“ firmiert es als „Anleitung zum guten Leben“. Es geht so:

how to be an artist
stay loose.
learn to watch snails.
plant impossible gardens.
invite someone dangerous to tea.
make little signs that say yes! and post them all over your house.
make friends with freedom and uncertainty.
look forward to dreams.
cry during movies.
swing as high as you can on a swingset, by moonlight.
cultivate moods.
refuse to be „responsible“. do it for love.
take lots of naps.
give money away.
do it now.
the money will follow.
believe in magic.
laugh a lot.
celebrate every gorgeous moment.
have wild imaginings, transformative dreams, and perfect calm.
draw on the walls.
read every day.
imagine yourself enchanted.
giggle with children.
listen to old people.
open up.
dive in.
be free.
bless yourself.
drive away fear.
play with everything.
entertain your inner child.
you are innocent.
build a fort with blankets.
get wet.
hug trees.
write love letters.
..and dance as much as you can!
SARK

Und dann kam „Beuys“ ins Spiel:

Lasse dich fallen.
Lerne, Schnecken zu beobachten,
Pflanze unmögliche Gärten.
Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein.
Mache kleine Zeichen, die „ja“ sagen und verteile sie überall in deinem Haus.
Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Freue dich auf Träume.
Weine bei Kinofilmen.
Schaukle, so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.
Pflege verschiedene Stimmungen.
Verweigere dich, „verantwortlich“ zu sein. Tue es aus Liebe.
Mache eine Menge Nickerchen.
Gib weiter Geld aus.
Mache es jetzt.
Das Geld wird folgen.
Glaube an Zauberei.
Lache eine Menge.
Bade im Mondlicht.
Träume wilde, phantastische Träume.
Zeichne auf die Wände.
Lies jeden Tag.
Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Kichere mit Kindern.
Höre alten Leuten zu.
Öffne dich.
Tauche ein.
Sei frei.
Preise dich selbst.
Lass die Angst fallen.
Spiele mit allem.
Unterhalte das Kind in dir.
Du bist unschuldig.
Baue eine Burg aus Decken.
Werde naß.
Umarme Bäume.
Schreibe Liebesbriefe.…
und ich sage: Tanze so viel wie möglich!

Und was soll man sagen? Wäre Beuys der wahre Autor dieser Zeilen, sie läsen sich weniger banal.