Toleranz, erkenntnistheoretisch

Es lohnt, die Vorstellung von Toleranz nicht nur als politische Errungenschaft oder moralische Pflicht anzusehen, sondern unter erkenntnistheoretischer Perspektive zu betrachten. Dann nämlich erschließt sich, dass jedes Individuum nur deswegen eine Welt hat, weil es andere seiner Art gibt, Menschen, die nicht identisch mit ihm sind, sondern in ihrer Vielheit und Vielfalt allererst die schönsten Perspektiven öffnen auf ein Ensemble von Einsichten, dessen Fülle und Gesamtheit wir „Welt“ nennen. Die Anerkennung von Intersubjektivität, und damit des Anderen als ein Wesen souveränen Rechts, bedeutet die Garantie, dass jedem die Welt nicht bloß als ein factum brutum erscheint, das gegeben ist, sondern sich als ein eigenständiger Anspruch präsentiert, der ihm aufgegeben ist: als das, was sich erschaffen und ergreifen lässt, entwickelt und entdeckt werden muss.