Vor neunzig Jahren

Als der Begriff „Großwetterlage“ eingeführt wurde, schrieb die Welt das Jahr 1926. Er war noch keine politische Kategorie, sondern kennzeichnete die weiträumige Verteilung der Druck- und Wärmeverhältnisse in der Atmosphäre, die Isobaren und Isothermen. In Zeiten, da wir die Regenwahrscheinlichkeit für jedes Dorf auf die Minute genau vorhersagen können, hört sich „Großwetterlage“ so altmodisch an, wie es der Autor Robert Musil empfand, wenn er den ersten Absatz seiner berühmten Einleitung in den „Mann ohne Eigenschaften“, der mit einer exakten meteorologischen Beschreibung der Großwetterlage einsetzt, münden lässt in den einfachen Satz: „Es war ein schöner Augusttag …“ Heute ist die Großwetterlage kaum noch beschreibbar jenseits mathematischer Modelle, viel zu komplex ist das Geschehen, viel zu umfangreich sind die Analysenformen, wetterkundlich wie gesellschaftlich. Das Wort ist zu einer Metapher geworden, irgendwo platziert zwischen Makro- und Mikroklima. Aber jenseits ihrer begrifflichen Bestimmtheit, als Bildrede, charakterisiert die Großwetterlage sehr viel genauer, was sich tut, als es die Physik des Wettergeschehens je konnte. Die Rhetorik des Wetters vermag Sätze zu formulieren wie: Es braut sich was zusammen. Und jeder weiß, was damit über das Meteorologische hinaus gemeint ist.