Vorbildlich

Muss einer, der von anderen als Vorbild anerkannt wird, mit seinen Worten übereinstimmen? Über den Moralphilosophen Max Scheler wird erzählt, er habe dem Kölner Erzbischof auf dessen Vorhaltung geantwortet, nicht gerade der geeignete Lehrer für die Seminaristen zu sein, weil er Verhältnisse mit drei Frauen pflegte: „Geht denn der Wegweiser den Weg, den er zeigt?“ Es wird nicht überliefert, was der Kirchenmann geantwortet hat, ja ob er überhaupt die Frage erwiderte. Wenn er schlagfertig gewesen wäre, hätte er vielleicht gesagt: „Kann einer Wegweiser sein, wenn er den Weg nicht schon gegangen ist, den er zeigt?“ Es hätte sich gar ein kleiner Wortwechsel entspinnen können, in dem Scheler nun wiederum am Zug gewesen wäre: „Völlig richtig. Diesen Weg habe ich hinter mir.“ So wäre er am Ende unterschwellig zu einer Bestimmung seines Fachs gekommen: Man muss die Moral überwunden haben, wenn man die Ethik denken will.