Wacher Geist

Morgens in der Stadtbahn. Die Gesichter sind gesenkt, kein Mucks ist zu hören. Alle starren stumm auf den Bildschirm ihres Smartphones. Nicht dass sie läsen, sie spielen, daddeln, tippen. Der Mitreisende fragt sich, ob er nicht Zeuge ist jenes Schreckens, den die Philosophen vielmals bedacht und zu entkräften versucht haben: dass das, was wir für unsere Welt halten, nur ein schwerer Traum sei. Sind diese fingerflinken Mitreisenden wach? Wachheit, als eine der Geistesgaben, bedeutet, zur Teilnahme fähig zu sein und damit über die Grundkraft des Lebens zu verfügen: unterscheiden zu können. Der moderne gemeine Morgenmuffel stolpert hingegen in den öffentlichen Nahverkehr, ohne aufzublicken. Ihn stört nicht, dass er sich stößt, dass er andere stört. Er schläft nicht mehr, ist aber auch nicht präsent. In seinem digitalen Zwischenreich zu Hause macht er keinen Gebrauch von der Differenz zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Seine maximale Reaktion ist das Zucken, das des Fingers und das der Achsel. Aber er löst für den Morgen, ohne eigenes Zutun, ein Rätsel. Der wache Geist, denkt der Mitfahrer, schafft nicht nur Klarheit, ist nicht nur schnell oder sieht mehr als andere, sondern er überwindet die Einsamkeit, weil er teilnehmen und teilgeben kann. Darum ist es zu tun in der Pfingstgeschichte.