Warum der Fußball fasziniert

Jenseits der sportlichen Attraktion lässt sich im Fußball begeistert eine Einseitigkeit und Parteilichkeit inszenieren, die im alltäglichen Leben jeden aufgeweckten Geist in höchste Verlegenheit brächte. Als Anhänger einer Mannschaft muss er die Vielzahl an Perspektiven ausblenden, die einzunehmen nicht nur sonst möglich wäre, sondern geradezu geboten. Für ihn gibt es nur eine Wahrheit, nur seine Meinung, nur diesen Standpunkt. Lächerlich machte sich ein Fan, der redete wie ein halbwegs informierter Wissenschaftler, der eine Sache ausdifferenziert betrachtet und bis zur eigenen Desorientierung behauptet, man könne sie so und so sehen; und noch ganz anders. Eingehüllt in den Vereinsschal verliert der Zuschauer die Rolle des neutralen Beobachters. Er leidet mit, schreit seine Mannschaft heiser zum Erfolg, verschmilzt mit den Spielern an einem magischen Abend taumelnd zu einem Klumpen der Ausgelassenheit. Trotz der vielen Helden und ungleich verteilten Talente im Stadion ist der Fußball wie kaum anderes geeignet zu vermitteln, wie schön und beglückend das Stadium vor der Indivuation gewesen sein mag. Regrediert zum Massenmitglied ist für den Spielfaszinierten die Welt wieder einfach, sind die Beziehungen klar, die Ziele ausgemacht. Für den Augenblick von neunzig Minuten ist das Leben reduziert auf schlichte Alternativen: Triumph oder Niederlage, Freude oder Betrübnis, Freund oder Unverständnis – „Eintracht vom Main, nur du sollst heute siegen“*.

* Refrain der Hymne von Eintracht Frankfurt