Was gehört wem, und wenn ja, wieviel?

Selten erschien die berühmte Formel vom „interesselosen Wohlgefallen“ so wahr wie jetzt, da durch den Zufallsfund der mehr als tausend Kunstwerke des Herrn Gurlitt eine Rechtssituation heraufbeschworen ist, die erkennbar kaum zu lösen sein wird. Immanuel Kant hatte mit der merkwürdigen Wendung den Umstand reflektiert, dass das ästhetische Urteil zwar subjektiven Empfindungen entspringt, aber einen Anspruch auf Allgemeinheit erhebt. Er befreite es von allem Begehren. So schwer es ist, sich Schönes vorzustellen, ohne dass sich mit ihm gleich allerlei Interessen verbinden, vor allem des Besitzes und der Bemächtigung, so verlockend ist der Gedanke, es – das Schöne – komme überhaupt erst zum Vorschein, wenn von all diesen Zugriffsabsichten abgesehen wird. In dem heraufziehenden Streit um das rechtmäßige Eigentum an Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus, der wegen der längst verstrichenen Verjährungsfristen moralisch geführt, aber so nicht zu befrieden ist, und der wegen der wohlbegründeten Empörung der Enteigneten juristisch nicht zu beenden sein wird, hilft nur der wechselseitige Verzicht auf die eigene Position. Es gibt keine Instanz, die zwischen Recht und Moral entscheiden könnte, ohne dass es willkürlich anmutete. Aber es gäbe die Gelegenheit – wenn alle ihre Ansprüche hintan stellten –, die Kunst zu befreien: so dass die Werke freigegeben werden könnten zur Ausstellung in einem eigens geschaffenen Raum. Durch solche Interesselosigkeit verwandelte sich deren Schönheit in ein Wohlgefallen für alle.