Wehe!

Aus dem noch ungeschriebenen Roman:

Von Anfang an stützte sich die Lebendigkeit ihrer Beziehung auf eine belastbare Paradoxie. Als er sie vor vielen Jahren erstmals wirklich wahrnahm, spürte er sogleich, wie nervös sie drängte, jene fiebrige Ungeduld, die, sobald sie der unterschwellig arbeitenden Methode gewiss ist, ihre Ziele rücksichtslos verfolgt. Es zog ihn an, rein beruflich zunächst, weil er wusste, dass mit solchen Menschen Erfolge sich gleich im Dutzend einstellen. Berechnend, aber auch berechenbar erschien sie ihm, leicht zu steuern. Er musste nur ihren heimlichen Ehrgeiz lenken. Was er unterschätzte, ja zu spät erkannte, war die tiefe Gründlichkeit – nicht zu verwechseln mit Tiefgründigkeit, die ihr gänzlich fehlte –, mit der sie die Absicht verfolgte, ihn zu „kriegen“. Das Wort bildet ab, was die Sache in Wahrheit war: ein versteckter Eroberungskrieg, nicht erklärt, ohne klare Fronten und Waffengänge. Allerdings höchst wirksam. Als er merkte, in welche Art der Auseinandersetzung er sich verstrickt hatte, war es längst zu spät. Er ergab sich, weniger aus Schwäche denn aus Gleichmut. Lang hatte er gemeint, er könne sie führen zu immer höheren Ansprüchen und besseren Ergebnissen; dabei hatte sie schon immer nur eines im Sinn gehabt: ihn. Es schmeichelte ihm. Nicht mehr. In dem Maße, wie das private Glück bei ihr wuchs, erlosch sein professionelles Interesse. Sie hatte ihn bekommen. Er aber nicht das, was er sich erhofft hatte. Ihre Leidenschaft war ihm unheimlich geblieben. Was will sie von ihm? Sie damit zu beschäftigen, war sinnlos: „Was schon, mein Schatz“, wäre ihre Antwort, „das, was alle wollen.“ Und sie würde sich wieder auf ihn stürzen und jede weitere Frage aus seinem Gehirn zu blasen versuchen. So ging das jahraus, jahrein. „Was will ich eigentlich?“ Als, spät genug, die Frage bei ihm langsam, aber nachdrücklich hochkroch, war sie schon verschmolzen mit einem verzweifelten Unbehagen. Er ahnte, dass er ihre Liebe nur erwiderte, weil er sich fürchtete vor ihrem Hass. Jede ihrer Gesten empfand er als eine unausgesprochene Drohung, gerade die reizvollen und Zeichen der Zugewandtheit. Ihre Liebe war seine Strafe. Ihr Wohltun sein Wehe. Eine Strafe für nichts. Und er verstand zum ersten Mal den bitteren Sinn dieser Wendung: für Nichts.