Wir Virologen

Zu den Organen, die das Virus verändert, gehört auch das Hirn, dessen Funktionen es nicht nur physiologisch beeinträchtigt. Es besetzt monothematisch die Begegnungen, verbreitet sich über die Übertragungsketten des Worts. Wo immer man hinkommt, hat sich der Erreger als Gesprächsstoff schon fest eingenistet in den Gedankenaustausch. Das geht so, seit die Tage ernst geworden sind. Jeder weiß zur Sache etwas beizutragen, viele wissen es besser, mancher erweist sich als rastloser Superspreader von gefährlich unbestätigten Informationen. Der dezent genervte Versuch eines Themenwechsels findet kaum freundliche Erwiderung; die Beiträge zur Unterhaltung sind allesamt massiv infiziert vom Krankheitskeim. Was das auslöst? Eine Sehnsucht nach sozialer Distanz, da die Sehnsucht nach überraschenden Inhalten nicht erfüllt wird. Das Virus schafft selbst die Voraussetzungen, dass es austrocknet, weil Menschen, die bei ihren Zusammenkünften nichts anderes mehr kennen, sich in der Lust erschöpfen, einander noch zu treffen.