Wittgenstein, rhetorisch

Versonnen steht der Gast vor der Werkausgabe seines verehrten Jugendautors Karl May, vierundsiebzig Bücher im Regal, chronologisch aufgereiht. Es waren diese gebundenen Bände mit der Goldprägung auf dem Rücken und dem bunten Deckelbild, die ihn einst fesselten, die Winnetou-Erzählungen vor allem oder die Abenteuer aus dem wilden Kurdistan. Da fällt ihm ein, wie er damals beim Lesen über ein Wort gestolpert war, das er nicht kannte: „insofern“ hatte er auf der zweiten Silbe betont und es irrtümlich für einen Infinitiv gehalten, ähnlich dem „Lauern“ der Indianer. Die Eltern, die er nach dieser unbekannten Vokabel fragte, verstanden nicht auf Anhieb, was er wollte. Auch sie hatten „insófern“, das neue Verb, noch nie gehört. Sie brauchten einen Moment zur Aufklärung, und die Erklärung, die sie endlich nachschoben, machte die Sache nicht heller. Dass Wittgenstein auch das im Blick hatte, als er einen seiner berühmten Sätze zum Sprachspiel formulierte: Es sei die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache*, wird dem Besucher und Betrachter der frühen Lieblingsliteratur nun klar. Es geht am Ende um die Lebensform der Rede. Sprache ist im umfassenden Sinn gemeint: als grammatisches System, logische Struktur und, nie zuletzt, als rhetorischer Stil. Im lauten Nennen zeigen sich am deutlichsten die Verständnisdunkelheiten. Nichts ist falsch an der Präzisierung der Formel: Die Bedeutung eines Worts ist sein Gebrauch im Sprechen.

* Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 43