Zwischen den Zeilen

Aus dem noch ungeschriebenen Roman

Während er gern Klartext redete, legte sie ihre Botschaften in der Regel zwischen die Zeilen. Ihr war das deutliche Wort zu laut, zu grobschlächtig, nicht vornehm und feinsinnig genug. Überhaupt ertrug sie Auseinandersetzungen nicht gut, schluckte lieber den Ärger, als dass sie ihn auf die Lippen brachte. „Brüll nicht immer so“, warf sie ihm vor, wenn er erregt war. Wild gestikulierte er, sein wütender Bewegungsdrang befreite ihn vom angestauten Unmut; sie hingegen sprach so leise, dass es nur in den Schweigephasen des Streits zu verstehen war. Und dann auch allenfalls rätselhaft, angedeutet, abstrakt. So ging das Jahre. Der Klassiker war: „Was hast du?“ Achselzucken. „Sag doch mal.“ Schweigen und ein bedeutsamer Blick. „Wenn du nicht sprichst, kann ich nicht auf dich eingehen.“ „Du versteht mich sowieso nicht.“ Meist war es dann um die Contenance geschehen. Er holte tief Luft und presste sie zwischen den Zähnen hervor. Seine Nasenlöcher bliesen sich auf zu Nüstern, aus denen er vernehmbar schnaubte. „Sag endlich, was du hast“, flüsterte er angestrengt. „Nichts“, antwortete sie und wendete das Gesicht ab. „Aber dir fehlt doch was?“ „Ja. Alles.“ In dem Moment brach es üblicherweise aus ihm heraus. Auf sie ergoss sich dann ein Schwall von eigenen Nöten, Vorwürfen, ehrlicher Sorge, umso lautstarker, je stiller sie wurde. Doch diesmal war er anders. „Wenn du willst, dass ich deutlich bin, wohingegen du nur zwischen den Zeilen redest, dann musst du dich nicht wundern, wenn kein einziges Wort von mir deinen Wünschen begegnet. Alles, was ich sage, kannst du hören. Alles, was du sprichst, muss ich erraten. Du redest, ich rede; aber wir haben uns nichts mehr zu sagen. Zwischen den Zeilen ist nie genügend Platz für zwei. Verstehst du?“ Sie sah ihn nur traurig an.