Monat: April 2017

Wie soll das gehen?

Das Unmögliche möglich machen – wie oft hören wir diese Formel, wenn scheinbar aussichtslose Situationen wieder gewendet werden, so dass sie eine Perspektive bekommen. Dabei ist der Satz logisch unsinnig, viel törichter als die strukturgleiche Wendung der anderen Modalkategorien. Unnötiges kann nötig sein, etwa wenn ein vermeidbarer Fehler sich als entscheidende Bedingung entpuppt, eine Sache im Ganzen richtig werden zu lassen. Und Unwirkliches vermag selbstverständlich wirklich zu werden, mindestens aber wirksam. So geschieht es dort, wo flüchtige Worte performative Kraft entfalten und nichts als ein ritueller Spruch die Realität einer Lebensgemeinschaft begründet oder die reine Einbildung kräftig genug ist, unser Handeln zu steuern. Das Unmögliche aber ist ja kein Zustand, sondern das Urteil, das wir fällen, wenn trotz aller Bemühungen nicht möglich zu sein scheint, was hätte wirklich werden sollen.

Der Einfachheit halber

Der Künstler von morgen wird in der Musik, der Malerei, aber auch in der Politik, in Wirtschaft, Sport oder Gesellschaft wirken: als ein Mensch, dessen Talent sich in der Fähigkeit zeigt, eine wachsend überkomplexe Welt in leichte Gesten übersetzen zu können, deren Schwierigkeitsgrad verschleiert wird durch die Faszination, die sie auf den Beobachter ausüben. – Das setzt ihn ab von Populisten, Leuten, die hierbei auf halbem Wege stecken geblieben sind. Sie machen es sich zwar einfach, anderen indes nicht leicht.

Riskiertes Leben

Was ein Gespräch genannt zu werden verdient, hat mit dem, was für gewöhnlich „Kommunikation“ heißt, schon deswegen wenig zu tun, weil sich in ihm zwei Menschen so aufeinander einlassen, dass sie riskieren, ihr Leben ändern zu müssen.

Da ist was faul

„Ich denke nicht mehr, als ich muss“, sagt der eine.
„Und ich handele nicht mehr als nötig“, meint der andere.
Eine Weile sitzen sie stumm am Tisch. Der eine äußert sich nicht, der andere tut nichts.
Plötzlich steht jener auf und verlässt sein Gegenüber wortlos. Der wiederum beginnt zu grübeln, ohne sich zu regen.

Der Diminutiv

„Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Paar und einem Pärchen?“, fragt sie unvermittelt. „Das ist doch nicht dasselbe wie bei Bär und Bärchen. Oder?“
Er überlegt kurz. „Das Bärchen hast du genascht; das Pärchen hat sich vernascht. Beides hält nicht lange.“
„Schlechtes Wortspiel, lass das. Ich finde ja Pärchen überhaupt nicht niedlicher als Paare. Ist vielleicht auch nichts Großes, was das eine vom anderen trennt.“
„Oh doch“, greift er ein. „Vielleicht hilft die höhere Mathematik der Liebe. Wir denken ja, beides sei eine Umschreibung der Zahl zwei. Das stimmt aber nicht. Paare sind immer mehr als zwei, gerade wenn die Liebenden zu zweit sind. Da kommt als Drittes wenigstens noch die Beziehung hinzu, die sie zueinander haben als eine eigene, stabile Größe. Manchmal sind es auch die Verhältnisse, in denen die beiden noch leben, oder ihre vergangenen Partner. Dann wird daraus schnell eine Vier. All das kennt das Pärchen noch nicht.“
Das wirkt nach. Sie hält für einen Augenblick inne. „Also haben Paar und Pärchen gar nichts miteinander zu tun, außer in der Grammatik.“
„So wie Bär und Bärchen.“

Einmaleins des Wissens

Nicht die Idee, aber der Respekt vor ihr ist, was eine Erneuerung nachwirkend zu entzünden vermag. Ein Gedanke besteht seine Realitätsprobe in dem Maße, wie hinter ihm ein Vielfaches an Einsichten sich versteckt hält, das in jenen Augenblicken klug aufblitzt, in denen es nur darum geht, die Zweifler der Umorientierung zu besänftigen und im Mittelpunkt des Bemühens um Innovation das Aushalten mehr gefordert ist denn das Ausfalten. Der Imperativ lautet: Strenge dich an, deutlich mehr zu wissen, als es die Sache verlangt, damit du nicht schon bei der zweiten Einrede verlegen aufgeben musst.

Philosophie der Liebe

Verliebtheit: das ästhetische Verhältnis zur Liebe. Die Begeisterung darüber, dass sich die Liebe zur Liebe als Liebe zu einem Menschen leben lässt.
Treue: das logische Verhältnis zur Liebe. Die Einsicht, dass nicht zwingend lebensverändernde Konsequenzen zu ziehen sind aus der Enttäuschung darüber, dass die Liebe zu einem Menschen zu klein sei für die Liebe zur Liebe.
Barmherzigkeit: das moralische Verhältnis zur Liebe. Die Entschiedenheit, wider die Lieblosigkeit von Menschen stets die Liebe zur Liebe als Gegenargument zu setzen.

Ich habe keine Angst vor der Zukunft

Anthropologisch, nicht psychologisch, ist der Satz Unsinn: Ich habe keine Angst vor der Zukunft.
Psychologisch, nicht anthropologisch, lässt sich auch anderes denken als: Eine Zukunft haben bedeutet, vor ihr Angst zu haben.

Gewiss, gewiss

Das Gift, von dem unsere Gesellschaft schleichend gelähmt wird, ist der fortdauernde Verlust von Gewissheiten.

Formel für die Tagesform

Zum Erfolg gehört essentiell, dass er nicht folgerichtig erklärt werden kann (obwohl es das Wort selber nahelegt). Wo Stimmungen, Lust- oder Unlustgefühle, Tagesformen ihren Einfluss maßgeblich ausüben, durchkreuzen sie den Versuch, aus erbrachten Leistungen ein Ergebnis kausal herzuleiten. Der Erfolg kennt keine hinreichenden Bedingungen, nur notwendige, solche unerlässlichen wie jene Atmosphäre, unter der er sich im schönsten Fall einstellt, wenn auch nicht herstellen lässt.

Politisches Fieberthermometer

Der zuverlässigste Gradmesser für die Präsenz des politischen Populismus ist die Zahl der Vorurteile, die es braucht, um etwas Wahres über die Zeit zu sagen.

Take it easy

Grundgesetz für glückliche Gemeinschaften: der Einstieg muss um ein Vielfaches schwerer sein als der Ausstieg (und nicht umgekehrt). Um die Aufnahme wird streng verhandelt; der Abschied wird schlicht erklärt.

Postskriptum zu Ostern

Nachtrag zu Ostern: In den Geschichten wird der Auferstandene stets mit den durchbohrten Händen, den Verletzungen durch die Kreuzigung vorgestellt. Um die Identität des einen zu bezeichnen, der lebt, obwohl er starb? Vielleicht ist die naheliegende Deutung so falsch nicht: Im Menschlichen vollendet zu sein, meint, seine Verwundbarkeit anzunehmen.

Jahre, ins Land gegangen

Eine der wichtigsten Enttäuschungen fortgeschrittener Jahre ist die Entdeckung, dass der Jungbrunnen nicht allzu tief ist. Dennoch hält er für jede Daseinsphase unterschiedliche Altersformen diskret bereit. Dass der gut Sechzigjährige sich zuweilen mit einem verwechselt, der gerade mal vierzig geworden ist, ist nur unfreiwillig komisch, wenn es über das Gesichtsfaltenmuster, schlaffes Bindegewebe oder die rasche Atemnot eklatant öffentlich wird. Viel interessanter ist die Erfahrung, wie viele Lebensgefühle sich dem Menschen bieten, je reifer er geworden ist: Nuancen des Erlebens, die wechseln zwischen kindlicher Freude und überlegener Gelassenheit, dem Hunger nach Steigerung, der Abkehr von ermüdenden Konflikten, dem lustvollen Spiel mit der Sinnfreiheit wie der angestrengten Sinnsuche. Es gilt das Gesetz: alt zu sein bedeutet, auf unterschiedlichste Art alt sein zu können. Das lehren erst die Jahre, die ins Land gegangen sind.

Ja

Jedes „Ja“, das wir einander zusprechen, bezieht sich auf anderes: die Frage, zu der es die Antwort sein will, ein „Nein“, das zuvor gesprochen wurde, auf all das, was es ausschließt, indem es sich der einen Sache verschworen hat. Sprachlich lässt sich Zustimmung nicht anders äußern; die Negation redet immer ein Wörtchen mit. Ein „Ja“, das unbedingt sein will, bleibt in der Artikulation abstrakt – oder wird zur Geste. Das Symbol der Auferstehung ist die vorbehaltlose Umarmung.

Künstliche Intelligenz

Erregt von einem kurz aufgeflammten Konflikt schreibt er schnell eine Nachricht an sein Gegenüber, das ihn mal wieder nicht versteht. Zum Schluss noch die Pointe, mit der er seinem Ärger Luft machen und die seiner Sache die Krone aufsetzen sollte. By the way tippt er in sein Smartphone, dessen künstlich intelligente Autokorrektur die Wendung besser wahrnimmt und eigenmächtig die Wortfolge verschickt, in der alles gesagt ist: by the war.

Das Wort vom Kreuz

Es ist die paradoxe Aufgabe der Deutung, die Erinnerung an ein Geschehen in dem Maße genau aufrecht zu erhalten, wie es durch dessen Interpretation den Fakten die Fähigkeit zuschreibt, zur Botschaft zu werden.

Passionszeit

Es gibt keinen größeren Verzicht als den auf sich selbst. Theologisch: Weil der Schöpfer als uneingeschränkt Handelnder einstimmt, zum Erlöser zu werden durch vorbehaltloses Leiden, wird dem Tun das Mandat entzogen, irgendetwas beitragen zu können zur Vollendung des Menschen im Menschlichen. Passionszeit bedeutet die Aufwertung des Geschenks zur unbedingten Gabe.

Bällebad

Dass im Bällebad des Kinderparadieses von Kaufhäusern die Kleinen darauf warten, abgeholt zu werden, vernimmt der Besucher des Geschäfts gelegentlich über die eindringliche Stimme aus dem Lautsprecher. Nun, kurz vor dem christlichen Hauptfest, tönt es ähnlich über die offiziellen Organe frommer Institutionen: Man müsse den Menschen dort abholen, wo er steht. Nur, wo hält sich dieser merkwürdig abstrakte Mensch auf? Selten gewiss auf den Gemeindefeiern, die eigens für seine angenommenen Bedürfnisse populäre Peinlichkeiten kopieren; noch seltener sicher hört er einer Predigt zu, die sich mit dem ökologischen Fußabdruck bemalter Ostereier mahnend auseinandersetzt, um den Dreh der Botschaft ins Allgemeinverständliche hinzubekommen. Vielleicht ist die Frage ja gar nicht, wie einer abzuholen sei, wenn der so wohlmeinend Suchende erkennbar zu denen gehört, die irgendwann infantilisiert stehengeblieben sind, weil sie nicht mehr mitkamen. Die Pointe der testamentarischen Erzählungen von der Erlösung ist doch, dass die vielbeschworene Umkehr nicht Rückschritt bedeutet, sondern dass der Mensch vorankommt.

Nicht nötig

Die Überzeugung, es nicht nötig zu haben, zeichnet den Snob aus. Im Unterschied zur gepflegten Eitelkeit als einer Kunstform, ist der heutige Snobismus meist nur noch schnöselig. Ihm fehlt es an vielem, an Selbstgefälligkeit, an Selbstzufriedenheit, vor allem aber an Stil. Beschränkt auf den nackten Narzissmus hat er sämtliche Facetten seiner früheren Faszination verloren.

Rückbau

Der Wunsch, dem Haus mit alten Materialien, gebeilten Eichenbalken, Rosettengarnituren aus dem Historismus oder handbemalten Wandkacheln samt nachgebautem Alkoven, seine frühere Anmutung zurückzugeben hat etwas vom Romanschreiben: Es wird eine Geschichte erzählt, die es so nie gegeben hat. Und die neuen Bewohner des Domizils müssen aufpassen, dass sie sich selbst nicht als Figuren wiederfinden in einer fiktiven Handlung, die sie vereinnahmt, obwohl sie von ihnen geschaffen wurde.

Vernichtungsstrategie

Bevor man die zerstörerischen Absichten des Hasses herausstreicht, gilt es, sein schöpferisches Talent nicht zu unterschlagen, das im Phantasiereichtum und der Kaltschnäuzigkeit des strategisches Geschicks dem kreativen Kopf in nichts nachsteht.

Finanz-Hypochonder

Unter den Vermögenden existiert nicht selten ein Typus wehklagender Geldgeber, denen stets jene letzte Summe fehlt, die aus ihrem Engagement eine zwar riskante, aber auch vielversprechend starke Beteiligung werden lässt. Halbherzig sind sie mit Gleichgesinnten kaum bei der Sache, jeder mit ein paar Anteilen versehen, vor allem indes heimlich auf dem Rückzug, sobald die nächste Investorenrunde ansteht. Dann jammern sie trotz voller Taschen über den eigenen Mangel und gerieren sich als Finanz-Hypochonder.

Fluchttiere

Man muss den Einfall fangen. Sonst entflieht er so plötzlich, wie er gekommen ist. Was könnte ein Hirn erinnern, das ja nicht ausgefallen ist, sondern nur nicht schnell genug gewesen, die Idee festzuhalten? Solchen Geistesblitzen begegnet man mit Geschwindigkeit, nicht mit Gedächtnis. Einfälle sind die Fluchttiere unter den Gedanken.