Lehren

Joseph Beuys 1977

Joseph Beuys 1977

 

Lehrveranstaltungen



In jedem Semester

Rhetorik und Wahrheit

Museumspark Hombroich

Museum Insel Hombroich

Wenn Wahrheit der Rede wert ist, gilt es Rechenschaft abzulegen. Sagen zu können, was man gesehen hat, gehört allerdings zu den schwierigeren Übungen im Denken. Dass viele mehr sprechen, als sie zu sagen hätten, und manche mehr entdeckt haben, als sie mitteilen können, ist das Los von Menschen, deren Welt sich zwar im Wort erst erschließt, aber durch die Sprache auch verborgen wird. Schon in der Antike traten Männer auf, die sich diesen Mangel zunutze gemacht haben: Täuschungen, Manipulationen, Demagogie und Desinformation – sie bilden den Kontext, in dem Rhetorik sich bis heute legitimieren muss. Nur wo um Wahrheit zu streiten sich lohnt, kann eine Rede freilich Verbindlichkeit beanspruchen, eine Erkenntnis Geltung behaupten. Der Kurs übt in Sprech- und Denkformen ein – in Techniken, die „technisch“ gar nicht genannt werden sollten, wie Argumentation, Debatte, Dialektik, freie Rede – und ist für alle, die mehr wollen, als etwas und sich gut zu präsentieren.

 

Sommersemester 2024

Was kann ich wissen? Was soll ich tun?
Über die Grenzen vernünftiger Weltorientierung

Immanuel Kant

Vernunft, so ihr Kritiker Immanuel Kant, heißt das Vermögen, das hilft, sich sinnvoll und trittsicher zu orientieren. So wurde sie zum Grundbegriff des philosophischen Denkens, ja zur Auszeichnung eines Lebewesens, das als einziges die Welt nicht nur als gegebene, sondern als Aufgabe ansieht. Auch wenn es dem Menschen nicht immer gelingt, vielleicht zu selten, vernünftig zu sein, so sollte er es doch. Dieser Anspruch, der dem Vernunftbegriff ein normatives Merkmal zumisst, lässt die Frage nach seiner Leistungsfähigkeit zwangsläufig aufkommen. Hält die Vernunft ihr Versprechen? Wo liegen ihre Grenzen; und wer bestimmt sie? Was bedeutet es, dass andere anderes als vernünftig bezeichnen, so dass sie glauben, es besser zu wissen? Und auch noch meinen, das überzeugend vertreten zu können? Das verlangt nach Unterscheidungen. Die „Kritik der reinen Vernunft“, die Adorno als das wichtigste philosophische Buch überhaupt einordnet, findet solche klarsichtigen Differenzen. Nicht zuletzt, weil nur sie das Denken befreien, sich zu verständigen über das, was zu tun geboten ist innerhalb der handlungsleitenden Marken von Toleranz und Würde.

 

Wintersemester 2023 / 2024

Arbeit am Mythos
Über eine Denkform existenzieller Erfahrungen

Prometheus

Selten ist eine Antwort so abhängig von dem, der gefragt wird. Was Mythen sind? Für den Wissenschaftstheoretiker das, was die Vernunft längst kritisch überwunden hat. Für den Psychologen eine nie vergangene Anschauungsart unserer versteckten Befürchtungen. Für den Politikwissenschaftler die Lüge, die so lang erzählt worden ist, dass ihr Autor sie selber glaubt. Für den Kulturtheoretiker das, was niemals war und doch immer ist. Und in der Philosophie? „Der Mythos selbst ist ein Stück hochkarätiger Arbeit des Logos“, sagt Hans Blumenberg. Er leugnet die strikte Gegenüberstellung von sprachbildnerischer und bildsprachlicher Phantasie und dem Klarheitsideal des rationalen Diskurses. Weil deren Begriffskarrieren gerade nicht konträr verlaufen, dieser jene nicht einfach ablöst, kommt es auch unter den Bedingungen der Nachmoderne immer wieder zu Mythenbildungen. Als erzähltes System erklären sie die Welt. Sie schaffen Ordnungen und Zuordnungen, beruhigen Erwartungen, regeln Einstellungen, ermöglichen Anschlussberichte. In all dem setzen sie sich zwischen Mensch und Wirklichkeit, stellen sich gegen deren scheinbar willkürliche Eingriffe ins Leben, indem sie Einblicke zulassen in Entscheidungsmechanismen und Motivstrukturen. Das ist ihre Funktion, bis heute. Der Mythos erledigt sich nie. Sein Widerpart ist nicht das aufklärende Wissen, sondern die verabsolutierte Welt. In ihr sehen wir immer Anlass, weiterzumachen mit den erfundenen Sinngebungen des Ganzen, und seien diese noch so verkleidet als Theorien oder Utopien, Eschatologien oder Geschichtsphilosophien. Wir brauchen das Zwischenstadium des Erdachten, um sie auszuhalten. Die kürzesten Mythen heißen: Metapher.

 

Sommersemester 2023

Wahrheit als Freiheit
Einführung in das dialektische Denken

Robert Gernhardt, Neulich im Hegelstübchen

Das Denken setzt dort ein, wo es die Dinge der Welt unmittelbar nicht versteht. Es schätzt diese Irritation als Ausgangspunkt einer Reflexion, die sich mit dem, was zu sehen ist, nicht aufhält, weil mehr zu sehen sein wird, wenn der Anschauung sich die Begriffe beigesellen. Nur welche sollen es sein? Dass das nicht nach Belieben zu geschehen hat, sondern folgerichtig, ist eine der Grundannahmen der Philosophie. Wer nur denkt, solange eigene Vorstellungen bestätigt werden, denkt in Wahrheit nicht. Ohne Konsequenz und (Selbst-)Kritik lässt sich sinnvoll kein Urteil fällen, eine Situation nicht einschätzen, ein Phänomen kaum präzise beschreiben. Hegel hat aus dieser Aufgabe skeptischer Schlüssigkeit eine Methode entwickelt, die zum Ansatzpunkt für alles wurde, was Komplexität für sich zu kennzeichnen behauptet: die Dialektik.Sie vollzieht die „Phänomenologie des Geistes“ als eine Entwicklung des Wahrheitsbegriffs, die sich gerade in größter Stringenz als Darstellung von Freiheit zeigt. Das Seminar ist als Einführung in das dialektische Denken eine Hinführung zu Hegels Philosophie.

 

Workshop auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 24. bis 25. März 2023

Das Verlernen lernen
Über Erfahrungslast und Wissenslust
Prof. Dr. Jürgen Werner

Eine Erfahrung, gegen die
man sich nicht gewehrt hat,
ist keine Erfahrung.
Elias Canetti

Das Leben, auch das wirtschaftliche in einem Unternehmen, ist ein gefährliches Arrangement mit der Ungewissheit, und verlangt unbeugsam von seinen Zöglingen die Einsicht, dass „Wirklichkeit“ nur der andere Namen für das ist, was uns im Zweifel unliebsam überrascht. Am Ende aller Erfahrungen steht immer die Anerkennung von Realität. Vielleicht ist es diese Eigenschaft, die unserer Zeit das Signum aufgeprägt hat, eher erlebnishungrig zu sein, als nach Erfahrungen oder gar Erkenntnissen zu streben. Man hat Erfahrungen dann gern, schon gar als einen Schatz, aus dem man nach Gutdünken reich entnehmen kann, wenn es nötig ist oder der eigenen Aufmerksamkeit dient. Aber macht man sie auch gern? Dagegen spricht die Mühe, die sie einem abringen. Erlebnisse sind das Fast Food der Vernunft. Erfahrungen hingegen stellen schon eine geordnete, nicht selten erlittene Form von Erlebnissen dar, geben ihnen Verbindlichkeit, haben sie zu Erinnerungen gerinnen lassen, die weitergereicht werden. Sie sind das „Können“, das man braucht, wenn man alles kann, aber – wie in Krisen – genau dies nicht ausreicht. Alles kommt darauf an, die Erfahrungen am Ende zu verdichten zu klaren Erkenntnissen und sie somit unabhängig zu machen von den persönlichen Umständen. Erst so bilden sie eine trittsichere Basis, auf der sich aufbauen lässt, ohne dass die Last vergangener Eindrücke das eigene Vorankommen behindert. Ein Übermaß an Erfahrung führt immer zum Stillstand. Was ist zu tun, damit das nicht passiert? So verstanden, ist Erfahrungswissen das genaue Wissen über die Grenzen von Erfahrungen. Aber lassen sie sich überhaupt wieder verlernen; lässt sich das Vergangene organisiert vergessen? Diese Kunst ist, was Neues möglich macht.

 

Wintersemester 2022 / 2023

Über Gott und die Welt
Grundbegriffe des philosophischen Denkens

Karl Jaspers

Die kleine Anmaßung, mit der diese Lehrveranstaltung über ihren Titel – Gott und Welt –sich vorstellt, entstammt dem Selbstbewusstsein des philosophischen Denkens. Es handelt in nicht seltenen Fällen von jenem Wissen, das sich zwar nicht stützen kann auf einen klaren Beweis, dennoch mehr zu sein beansprucht als zweifelnde Ungewissheit (allerdings auch deutlich weniger sein will als der Dünkel, der sich als Lebensweisheit ausgibt). Seit alters beginnt es mit der Unruhe, die im fragenden Staunen liegt, aber womit endet es? Viel spricht dafür, es für den Ausweis einer glücklichen Vernunft zu halten, wenn es auch mit dem Staunen aufhört. Wie geht das? Der Heidelberger Psychiater und Philosoph Karl Jaspers, einer der Großen der Existenzerhellung, beschreibt es so: „Philosophie ist das Denken, in dem wir uns dessen vergewissern, woraus wir leben, – was eigentlich ist, – wodurch wir sind, – was uns unbedingt ist, – in welchem Entschluss wir gründen, – ist damit das Denken, durch das wir dieses Denken denken, seine Gewissheit prüfen, seinen Sinn und seine Kriterien erhellen.“ Dieser Art der Reflexion werden wir folgen, indem wir uns deren Grundkategorien genauer anschauen: Existenz, Welt, Grenze …

 

Sommersemester 2022

Das Prinzip Hoffnung
Philosophieren zwischen Trotz und Trost

Ernst Bloch

Der Zeiterfahrung ist eigentümlich, dass Vergangenheit nicht nur vergangen und Zukunft nicht bloß zukünftig ist. Beide greifen machtvoll in die eigene Gegenwart, lenken und bestimmen sie, oft weit über die Schwelle des Erträglichen hinaus. Die Erinnerung bewahrt uns vor allzu luftigen Erwartungen, indem sie diese Vorstellungen an ein gewichtiges Ensemble von Erfahrungen bindet; die Hoffnung wiederum sorgt dafür, nicht aufzugeben in Momenten, da man meint, es besser zu wissen. „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen“, schreibt Ernst Bloch. „Sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Affekt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen, kann gar nicht genug von dem wissen, was sie inwendig gezielt macht, was ihnen auswendig verbündet sein mag.“ Aus dieser Weite gewinnt das Handeln seine Kraft, die stark genug ist, Gesellschaft zu verändern. Die Lehrveranstaltung wird fragen, wie lebendig und belastbar dieser „Geist der Utopie“ ist.

 

Workshop auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 11. bis 12. Februar 2022

Sinn und Eigensinn
Über die nächsten Dinge, nicht die letzten Fragen
Prof. Dr. Jürgen Werner

Hat man sein Warum? des Lebens,
so verträgt man sich fast mit jedem Wie?
Friedrich Nietzsche

Es gibt Fragen, die zu groß sind für das, was sich als Antwort anbietet. Die nach dem Sinn ist ein solches Problem. Da hat der Kalauer dann seinen Platz, der leichte Wortwitz, die intelligente Narretei. „Der Sinn – und dieser Satz steht fest – ist stets der Unsinn, den man lässt“, reimt der humorsichere Skeptiker Odo Marquard. Und lässt versteckt erkennen, dass es am Ende doch um das große Ganze geht. Eigen ist der Sinn selten; er stiftet vielmehr Teilhabe, schafft Klarheit, vermittelt Gewissheit, konzentriert, orientiert, identifiziert. Gleichwohl wäre niemand zufrieden, der nicht auf das notorische Warum und Wozu seine Erwiderung gefunden hätte, und nicht bloß irgendeine. Vielleicht gibt der Eigensinn, den manche Menschen pflegen bis zur sozialen Unfähigkeit, am ehrlichsten Auskunft über das, was „Sinn“ zu heißen verspricht. Denn man findet diesen nicht, indem man nach ihm sucht. Gerade Lebens- und Berufsverhältnisse, Institutionen oder Organisationen, die sich aufladen mit zu viel Bedeutung, ächzen unter der Last, immer auch Auskunft geben zu müssen über mehr als das, was sie sind, um das zu sein, was sie sind. Enden sie, heißt es schnell: Das macht alles keinen Sinn mehr. Solche Sinnlosigkeitsgefühle kommen auf, wo man an seinen hehren, allzu aufragenden Ansprüchen scheitert. Zur unfreiwilligen Komik des Sinns gehört, dass er sich nicht direkt intendieren lässt. Nicht arbeiten, sondern nach Glück streben, nicht Fahrrad fahren, sondern sich selbst optimieren, nicht den eigenen Talenten folgen, sondern sich selbst verwirklichen – wer so nach Höherem strebt, erlangt viel, aber keinen Sinn. Sinn stellt sich ein; er lässt sich nicht herstellen. Schon gar nicht durch Unternehmen, die dem Eigensinn keinen Raum geben, weil sie sich bedeutungsschwer von Traditionen und Generationen, Familienmythen und realitätsfernen Perspektiven bestimmen lassen. Zu dick aufgetragen, zu viel gewünscht, zu groß gedacht? Wo das geschieht, hat das Plädoyer Platz für das, was jetzt und gerade nur erledigt werden muss. Das kann schon viel sein.

 

Wintersemester 2021 / 2022

Das Verhältniswesen
Ansätze einer philosophischen Anthropologie

Helmuth Plessner

Zu den berühmten ersten Akkorden des Geistes zählt der Dreisatz, mit dem Ernst Bloch seine „Tübinger Einleitung in die Philosophie“ begonnen hat: „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“ Er beschreibt den Menschen als ein Selbstverhältnis, das sich in dem Maße, wie es sich von sich distanzieren kann, ergreifen muss. Doch was hätten wir, wenn wir geworden wären, was wir zu sein glauben? Jeder sich? Ich mich? Wir uns, oder gar einander? Nichts bleibt in allen Bestimmungsversuchen des Menschen so gewiss wie deren Offenheit: Er ist, so viel mindestens, die Frage nach sich. Dass die in Krisenzeiten besonders aufkommt, mag schon die Blüte der philosophischen Anthropologie im zwanzigsten Jahrhundert belegen, die unmittelbar nach dem ersten großen Krieg anhebt mit einem Buch, das den Titel trägt „Das Menschheitsrätsel“. Ob dessen Autor, Paul Alsberg, der großen Einfluss ausübte auf spätere Denker, eine „prinzipielle Lösung“ gefunden hat, wie er vollmundig angekündigt hatte, wird in Zweifel zu ziehen sein. Das alles gehört zur Fraglichkeit dieses so zwiespältigen Wesens „Mensch“.

 

Sommersemester 2021

Medium der Freiheit
Eine Philosophie des Geldes

Bitcoin

Ist je deutlicher beschrieben worden, was die Eigenschaft des Geldes ist, als in den „Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten“, die Karl Marx von April bis August 1844 in Paris verfasst hat? Dort, wo Vertrauen gegen Vertrauen getauscht wird, muss Geld nicht gegen Geld getauscht werden – und umgekehrt. Nur unterschlägt er, dass sich das Vertrauen gegen Geld nicht eintauschen lässt, weil das Geld das Vertrauen (in es und seinen Wert) voraussetzt. Was alles mit allem vergleichbar macht, beruht auf der Fähigkeit nicht zu allem gleichermaßen ein Verhältnis entwickeln zu müssen. Das Geld, schreibt er, „ist die Verbrüderung der Unmöglichkeiten, es zwingt das sich Widersprechende zum Kuss.“ Es ist ein Begriff, der zu allem taugt – ähnlich dem „Sein“ der Philosophen –, und kann jeden Wert repräsentieren, weil es für sich wertlos ist, Papier und Metall als Schein und Münze, oder nichts als ein digitaler Transaktionscode. Allemal ertragreicher als die Frage, was Geld sei und wie es sich anlegen, übertragen oder in Sachwerte wandeln lasse, ist also die nach so einem symbolischen Wert: Was repräsentiert es; wofür steht es? Wüssten Banken die Lebensfragen zu behandeln, die mit dem Geld, als einer möglichen Antwort auf sie, stets verbunden sind: Zukunftshoffnungen, Sicherheitsbedürfnisse, Risikoeinschätzungen, Macht- und Ohnmachtsgefühle, müsste man sich um die Zukunft dieser Institute ernsthaft keine Gedanken machen. Das ist der Mehrwert des Geldes, dass es immer mehr bedeutet als nur Geld.

 

Wintersemester 2020 / 2021

Erklären und Verstehen
Wege zur Hermeneutik

Wilhelm Dilthey

Eine Sache erklären bedeutet, sie in ihren Abhängigkeiten darstellen. Das heißt aber noch lang nicht, dass man sie versteht, geschweige denn dass man für sie Verständnis aufbringt. Was ist der Unterschied? Wo für eine Erklärung Gründe ausreichen, sind zum Verständnis Beweggründe nötig. Hier geht es um Verhältnisse, über die sich etwas erschließen lässt, dort um Beziehungen, die ausschließlich gelten und als deren vornehmste sich die herausstellt, die man selbst zur Sache pflegt. „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“, sagt Wilhelm Dilthey. Und markiert mit dieser Differenz einen Methodenstreit zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Was erklärt die Psychologie? Was gibt die Ökonomie zu verstehen? Welche Geltungsansprüche vertreten sie?

 

Workshops auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 19. bis 20. Februar 2021

Wer fragt, gewinnt
Das Neue zwischen Selbstzweifel und Selbstgewissheit
Prof. Dr. Jürgen Werner

Nicht wächst das Fragen
aus dem Staunen,
sondern es entsteht das Staunen
aus dem Befragtwerden.
Aron Bodenheimer

Es ist ein wohlerprobtes Mittel, um eine Sache zu verstehen: zu bestimmen, worauf sie reagiert. Wie lautet die Frage, auf die eine Strategie, eine Organisationsform, ein Konflikt die Antwort darstellt? Und, so ließe sich fortsetzen, taugt sie noch als Lösung? Könnte es vielleicht längst andere, bessere Erwiderungen geben auf das Problem? Es gibt Fragen, die stellen sich. Sie drängen sich auf, ohne dass sie schon genau ausformuliert wären. Da ist die Aufgabe, einfühlsam zuzuhören und das, was sich vorsichtig ankündigt, zum Sprechen zu bringen. Und es gibt Fragen, mit denen müssen wir eingreifen, weil nur so eingefahrene Routinen, Erfolgsmodelle, faule Kompromisse aufgebrochen werden können, in denen wir uns allzu bequem eingerichtet haben. Fragen verstören. Aber nicht jede Antwort beruhigt. Unternehmenslenker sind oft Antwortmenschen. Wenn schon nicht frei vom Zweifel, verbergen sie meist die eigene Unsicherheit, nicht zuletzt um der angenommenen Aufgabe willen, anderen, den Mitarbeitern oder Kunden, eine feste Orientierung zu vermitteln. Sie scheinen zu wissen, wo es lang geht. Was aber, wenn die überkommenen Wege ausgetreten sind? Wenn Neues sich annonciert? Wenn Unvertrautes zu denken nötig ist? Wenn die Frage vor der Antwort ein Vorrecht, nicht nur einen Vorrang, eingeräumt bekommt, vielleicht gar ein dauerhaftes? Dann kommt alles darauf an, Ungewissheit wie Selbstzweifel als unternehmerische Tugenden zu entdecken. Wir sind Meister darin, Antworten zu geben, nicht selten auf Fragen, die sich gar nicht stellen. Wie aber lautet die Frage, mit der wir alle, auch uns selber, überraschen und ins Staunen bringen?

 

Die Stunde der Strategie
In der Krise des Vertrauens der Krise vertrauen
Prof. Dr. Bolko von Oetinger, Prof. Dr. Jürgen Werner

Jeder hat einen Plan –
bis er was auf die Fresse bekommt.
Mike Tyson

In der Tat, jeder hat einen Plan: einen Businessplan, eine Personalplanung, einen Karriereplan, nicht zuletzt einen Plan B. Doch wie oft machen wir die Erfahrung, dass unsere Vorhaben nicht aufgehen. Pläne scheitern. Weniger, weil sie schlecht ausgedacht oder ausgeführt wurden. Sondern an der Wirklichkeit. „Ja, mach nur einen Plan / sei nur ein großes Licht / und mach dann noch ’nen zweiten Plan / gehn tun sie beide nicht.“ Was in Brechts Dreigroschenoper so lapidar bemerkt wird, ist die Erfahrung etlicher Unternehmen, die in diesen Zeiten zu heftigen Kurskorrekturen veranlasst werden. Nur dass das dort, leicht großspurig, eine Änderung der Geschäftsstrategie heißt. In der Unternehmenswelt wimmelt es von sogenannten Strategien. Das Wort wird inflationär gebraucht: Kundenstrategie, Asienstrategie, Verkaufsstrategie, Produktstrategie. Meist handelt es sich aber schlicht um Zielbestimmungen, um Geschäftszahlen, die zu erreichen sind und nicht selten verfehlt werden. Eine Strategie indes wäre gerade die Konsequenz aus der Einsicht, dass wir es immer mit ungewissen Situationen zu tun haben. Wer strategisch denkt, macht kaum Pläne. Und er ist nicht auf seine Ziele fixiert. Vielmehr investiert er in jene Fähigkeiten, die es einer Organisation leicht machen, mit unklaren Aussichten, mit vagen Entwicklungen, mit erzwungenen Änderungen sinnvoll umgehen zu können.  Zukunft, das liegt in ihrem Charakter, lässt sich nicht beherrschen. Aber man kann ihre Unbeherrschbarkeit zum eigenen Vorteil nachhaltig nutzen.

 

Sommersemester 2020

Das Politische und die Politik
Demokratie denken

EU-Parlament

Weil wir vergessen, dass oft nur geliehen ist, was wir besitzen, hat die Demokratie sich entwickelt über der Frage, wie Macht sich beschränken lässt. Wahlen sind die regelmäßig wiederkehrende Entscheidung, dass das Los derjenigen beschlossen ist, die geherrscht haben. Die Demokratie bestätigt nicht einfach, sondern zögert das Ende allenfalls hinaus. Wie lang? Diese Unsicherheit gehört zu ihren Bedingungen, wie umgekehrt die Ungewissheit bleibt, ob sich jene freiwillig zurückziehen, die verloren haben. Formen des Zweifels gehören zum Fundament der modernen Demokratie.

 

Was ist Qualität?
Über das Vermögen der Urteilskraft

Es gibt sie noch, die guten Dinge. Aber wie lässt sich sinnvoll über sie reden? – Logo des Warenhauses Manufactum

Der Verlust der Urteilskraft ist sicher eines der wenig auffälligen, dennoch höchst folgenreichen Kennzeichen unserer Zeit. Im Stimmengewirr von Meinungsvielfalt, Faktenglauben oder Fake News findet ein Talent, das Immanuel Kant als die spezifische Art der menschlichen Vernunft identifiziert hat, kaum noch die Möglichkeit, zur Anwendung zu kommen. Wo Beschlüsse über Quoten gerechtfertigt und statistische Analysen als wesentliche Grundlage für strategische Veränderungen anerkannt werden, geht ein qualitatives Vermögen verloren, das auch noch die Schwäche besitzt, aus einer prinzipiellen Verlegenheit zu rühren – dem Manko, dass dort, wo der berühmte „gesunde Menschenverstand“ regieren sollte, die Kriterien wegfallen, mit deren Hilfe sich etwas beweisen ließe. Was also macht Qualität aus, wenn sie weder rein subjektiv und willkürlich noch rein objektiv durch Fakten allein bestimmt werden kann? Mit der Urteilskraft stehen Realität und Geltung unserer Vernünftigkeit und damit ihr Gebrauch im tatsächlichen Leben auf dem Spiel, aber sie ist nicht mehr als eine Form „subjektiver Allgemeinheit“. Dennoch erheben Qualitätsurteile den Anspruch, keinesfalls beliebig zu sein; sie haben teil am gemeinschaftlichen Sinn zwischen Menschen, die Vernunft für sich in Anspruch nehmen, ohne dass das über das Ansinnen hinausgehen könnte, damit etwas Plausibles gesagt zu haben. Und sie enthalten die massive Verwunderung darüber, dass andere anders urteilen können oder schon konnten. Um welche Art von Verbindlichkeit handelt es sich also im Fall der Urteilskraft? Welche Rolle spielt sie in unserer Welt? Und wie lässt sich ihre Fähigkeit herausstellen, der zugetraut werden muss und kann, dass sie im Ökonomischen wie Politischen (nicht nur im Ästhetischen) für eine realitätsdichte Wahrnehmung von Phänomenen sorgt? Was ist dann Qualität, deren Organ die Urteilskraft zu sein beansprucht?

 

Wintersemester 2019 / 2020

Freiheit und Verantwortung
Die beiden Namen der menschlichen Souveränität

Hans Jonas

Selten tritt Freiheit unter ihrem eigenen Namen auf. Was soll sie von sich auch sagen; wie sich vorstellen als ein Vermögen, das von nichts abzuleiten ist, durch nichts begründbar, verlöre es doch sonst seinen Charakter? Die Formen der Freiheit, unter denen sie uns sinnfällig wird, heißen: Gestaltungswille, Verantwortung, Entscheidungsfreude, Willkür und, nicht zu vergessen, Angst. Freiheit ist eine Aufgabe, kein Zustand. Was sie ist, zeigt sich nur in der Art, wie von ihr Gebrauch gemacht wird. Es gibt sie nicht anders als in der Handlung, die sich auf sie beruft. Vielleicht ist Freiheit so ein Synonym für das, was im besten Sinn „menschlich“ heißt, ohne dass damit schon etwas moralisch qualifiziert wäre.

 

Sommersemester 2019

In der Welt sein
Martin Heidegger und die Hermeneutik der Existenz

Gyula Zilzer, Die Sorge

„Philosophieren heißt am Ende nichts anderes als Anfänger zu sein.“ So beschreibt Heidegger die Lebendigkeit des Denkens, die in Fragen führt, welche nicht dadurch erledigt sind, dass man sich seit jeher um eine Antwort bemüht hat. Vor allem „Sein und Zeit“, das Buch, das im Jahr 1927 erschienen ist und mit dem er das Dasein ins Zentrum einer Fundamentalontologie gerückt hat, entdeckt und beschreibt die menschliche Existenz als nicht selbstverständlich, so dass es einer im Horizont ihrer Zeitlichkeit dauernden Selbstauslegung bedarf, um zu verstehen, was es bedeutet, in der Welt zu sein. Damit kommt niemand zu Ende. Aber kann man so anfangen?

 

Wintersemester 2018 / 2019

Ach, Gott
Religionsphilosophie und Religionskritik

Michelangelo, Die Erschaffung Adams

Religion sei die „Tochter von Hoffnung und Furcht“ und erkläre „der Unwissenheit das Wesen des Unbegreiflichen“, definiert der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce, ein brillanter Lakoniker Ende des neunzehnten Jahrhunderts in seinem „Wörterbuch des Teufels“. Was nicht ohne boshaften Hintersinn notiert ist, lässt sich als Sinnfrage an das aufgeklärte Bewusstsein formulieren: Was war es gewesen, das eine Religionskritik mit großer Geste hatte verabschieden wollen, ohne dass sie passende Angebote schuf, die eingetretene Vakanz fugenlos zu füllen? Die listige Hartnäckigkeit von Religion und ihrer symbolischen Muster, nicht zuletzt in unserem Übergangszeitalter, gibt zu denken.

 

Workshop auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 15. bis 16. Februar 2019

Die Krise des Konflikts
Haltungen im Gespräch
Mit Dr. Romy Jaster und Prof. Dr. Jürgen Werner

Wenn das Volk einem
philosophische Haltung zuschreibt,
so ist es fast immer eine Fähigkeit
des Aushaltens von was.
Bertolt Brecht

Nie wird eine Haltung deutlicher als im strittigen Dialog. Das Gespräch, das den Konflikt nicht scheut, in dem die Gegenrede nicht als Aufsässigkeit ausgelegt wird, verlangt, dass man Farbe bekennt. Nur wenn klar ist, wo die Unterschiedslinie zwischen den Positionen läuft, lässt sich eine Auseinandersetzung sinnvoll führen. Sich zum Eigenen zu stellen, hilft dem anderen bei seinem Bemühen, sich zu orientieren. Es erlaubt, belastbare Entscheidungen zu setzen, Perspektiven zu teilen, tragfähige Kompromisse zu formulieren. Wo aus falscher Rücksicht oder schlicht Uneinigkeit mit sich nicht deutlich wird, was die jeweilige Sichtweise zur Sache ist, wo die wahren Motive verschwiegen werden oder man aus Furcht vor den Konsequenzen nicht aus der Deckung tritt, versiegt am Ende mit der Streitbarkeit das Gespräch. Der Dialog verlangt nicht nur, dass man sich an Regeln hält. Er fordert auch Haltungen, die im Ernstfall das Handeln regeln. Wo sind die Menschen mit einer eigenen Überzeugung, die sie gegen den Widerstand einer Mehrheit vortragen, die sich leiten lassen von selbständigen Grundformen und Werthorizonten, auch wenn sie das mehr kostet als die Verwunderung der anderen? Haltungen können geschäftsschädigend sein, vor allem, wenn das Business auf virtuose Opportunisten setzt. Und doch, so notierte es schon vor einem halben Jahrhundert der amerikanische Soziologe David Riesman, verwirklichen die größten Chancen einer Gesellschaft jene, die er „innen-geleitete Typen“ nannte. Was zeichnet eine Haltung aus, außer dass sie weiß, was sie keinesfalls tun wird? Zum Einstieg in den zweiten Konferenztag prüfen wir noch einmal die großen Worte, mit denen wir operieren, auf dass sie nicht unter der Hand zu Leerformeln degenerieren. Über Haltungen lässt sich nicht gut reden. Sie zeigen sich. Und dennoch setzen wir dabei auf Formen des Gesprächs.

 

Sommersemester 2018

Ärgernis und Torheit
Über Theologie in der Philosophie

Rembrandt, Der Apostel Paulus

Es sind die beiden wohl bedeutendsten Romanautoren des zwanzigsten Jahrhunderts, die eine Spur ins Thema legen. „Nach meiner Meinung kann Theologie überhaupt nicht modern sein“, heißt es bei Thomas Mann. Und Robert Musil lässt eine seiner Figuren sagen: „Gott ist im tiefsten unmodern.“ Was also sucht Philosophie, wenn sie, auch heute, sich auseinandersetzt mit überkommenen religiösen Fragen, die kaum noch in der Theologie so ernsthaft behandelt werden? Und um welchen Grundbestand an Problemstellungen handelt es sich? Was schon Paulus als Skandal, als Ärgernis und Torheit bezeichnet, das göttliche „Wort vom Kreuz“, bietet seit jeher genügend intellektuelle Angriffsfläche, nicht zuletzt aufgrund der Zuspitzung, die Karl Barth mit der Dialektik seines Epochenkommentars zum Römerbrief der Sache gegeben hat, so dass auch die jüngere Moderne sich wieder und wieder an ihr stößt. Das Seminar liest dieses revolutionäre Schreiben, indem es sich dessen philosophischer Interpretation stellt: von Jacob Taubes’ politischer Lesart bis zur geschichtsphilosophischen Auslegung durch Giorgio Agamben. Lässt sich Gott unter zeitgenössischen Bedingungen denken; oder muss man es „als großen Vorzug anrechnen“ (so der Autor des „Doktor Faustus“), dass das nicht gelingen mag?

 

Wintersemester 2017 / 2018

Philosophie der Rhetorik
Über den Unterschied zwischen Überzeugen und Überreden

Gorgias von Leontinoi

Seit alters streiten Philosophie und Rhetorik um den Vorrang im Denken. Wo die Philosophie darum bemüht war, den Königsweg zur Wahrheitserkenntnis zu finden, versucht es die Rhetorik im pragmatischen Krisenmanagement der unbefriedigenden Situation, dass es kaum gelingt, über Wahrscheinlichkeit hinaus etwas gelten zu lassen im theoretischen Wirklichkeitsbezug. Zwischen der Kunst, richtig zu denken, und der, Recht zu behalten, steht mehr als eine methodische Differenz. Wäre die Philosophie von sich aus nicht rhetorisch, käme sie nie an einen Punkt im Begründungsprozess; hätte die Rhetorik keine Affinität zu Wahrheit als wenigstens eines regulativen Ideals, sie wäre bloßes Schönreden, billiges Dauergeschwätz. In diesem Konflikt, der sich in der Sprache manifestiert und über den Unterschied zwischen Überreden und Überzeugen erschließt, spiegelt sich die Situation des Menschen als eines endlichen Wesens mit unendlichen Ansprüchen. Wenn das stimmt, dass dieser Zwiespalt weniger ein methodischer ist als ein anthropologischer, könnte es lohnend sein, Lebensformen in Satzformen zu identifizieren.

 

Sommersemester 2017

Grammatik des Lebens
Sprachphilosophie 2

Wassily Kandinsky, Zeichen mit Begleitung

Es sind nicht die geringsten Fragen, deren Klärung Ludwig Wittgenstein in späteren Jahren als ein „Anrennen gegen die Grenzen der Sprache“ bezeichnete. Nun hatte er diese Grenzen zuvor selber so scharf gezogen und logisch genau gezeichnet, dass alle ethischen oder ästhetischen Probleme, alle überkommenen großen Themen der Philosophie kaum noch behandelbar waren. Armut im Ausdruck war der Preis für ein Denken, das sich dem Ideal der Exaktheit absolut verpflichtet sah. Dass Sprache jenseits ihrer Analytik vor allem im Alltagshandeln ihren Ort hat, bekam dann nicht nur für den Wiener Philosophen Bedeutung. Das Gespräch, Formen der Übersetzung und des Verstehens oder das Schöpferische des Worts, nicht zuletzt das Wissensspiel zwischen Frage und Antwort sind die Gegenstände einer Phänomenologie des Dialogs. In ihr geht es darum, am Ende eine Grammatik des Lebens zu entwickeln.

 

Wintersemester 2016 / 2017

Das menschliche Wort
Sprachphilosophie

Jaume Plensa, Body of Knowledge – Skultpur auf dem Campus der Goethe-Universität in Frankfurt

Jaume Plensa, Body of Knowledge – Skultpur auf dem Campus der Goethe-Universität in Frankfurt

Das Erstaunen, mit dem das Philosophieren nach alter Überzeugung eingesetzt haben soll, ist die heilsame Form des Erschreckens. Wer sich wundert, ertappt sich dabei, den bedrohlichen Anteil seiner Verstörungen durch eine Erklärung nachhaltig zu mildern. Nur so gewinnt man Erkenntnis. Wahrscheinlich ist es Menschen ähnlich ergangen, als sie erstmals mit der Kraft ihrer Laute Bekanntschaft machten. Worte besitzen die Macht, auf Distanz Handlungen zu erzeugen, sie können stimulieren, ermutigen, bereichern, verletzen, zerstören, töten. Jedes Nachdenken über Sprache hat also mit diesen „göttlichsten Taten“ zu tun, als die Gorgias die schöpferischen oder vernichtenden Wirkungen der Worte kennzeichnete. Die Veranstaltung will in der Auseinandersetzung mit philosophischen Texten und Theorien eine Art Grammatik des menschlichen Handelns entwickeln.

 

Workshops auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 17. bis 18. Februar 2017

Das Analoge in der Digitalisierung
Über das Beste aus zwei unterschiedlichen Welten
Prof. Dr. Bolko von Oetinger, Prof. Dr. Jürgen Werner

Wir haben die Teilung der Tätigkeiten
ausgezeichnet organisiert,
dabei aber die Instanzen für
die Zusammenfassung vernachlässigt.
Robert Musil

„Digitus“ ist die lateinische Bezeichnung für Finger. Man braucht nur zwei, um jene Ziffern 0 und 1 zu symbolisieren, welche die Struktur eines Signals ausmachen, das als digitales zur Recheneinheit für grundstürzende Veränderungen in unserer Welt geworden ist. Nichts gestaltet unser Leben derart tiefgreifend um wie jene technische Revolution, die uns vor Fragen stellt, auf die wir längst noch nicht angemessen antworten können. Was bewirkt die Digitalisierung, wenn sie mehr bedeutet als die Aufgabe, neue Geschäftsmodelle zu finden, sich zu vernetzen, der Datenflut und -kontrolle ein Maß zu setzen? Und wieweit werden analoge Eigenschaften, Talente des Menschen wie sein Mut, seine Souveränität, seine Gestaltungsfreiheit, seine Lust auf Neues, seine Urteilskraft oder sein Vertrauen verstärkt in Anspruch genommen? Eines ist unzweifelhaft: Der aktuelle Strukturwandel ist mehr als ein wirtschaftlicher Prozess. Als gesellschaftlicher Eingriff, ja als politisches Machtspiel mit globalen Interessen fordert er das überlieferte Erfahrungswissen heraus. Aber zugleich zwingt er in ein höchst anspruchsvolles Tempo, den technischen Neuerungen und strategischen Optionen zu folgen, mit den größten Chancen, allerdings auch Risiken, die existenziell sein können. Alles kommt darauf an, das Analoge nicht als veraltet anzusehen, und das Digitale nicht als die reine Verheißung zu verklären; viel hängt davon ab, hier sich nicht zu verzetteln, und dort nicht unnötig zu zögern. Wer könnte das besser als ein gleichermaßen traditionsreiches und aufgeschlossenes Familienunternehmen? Der Workshop behandelt den Streit zwischen den Welten des Digitalen und des Analogen und sieht in ihm jenen fruchtbaren Ort, an dem eine Organisation ihre Überlegenheit entwickelt.

 

Ideen finden
Der Geist der Erneuerung ergreift die Generation der Enkel
Jan Bathel, Horst Bente, Prof. Dr. Jürgen Werner

Wenn es nur darum geht, die Geschichte der Väter und Ahnen fortzuschreiben, kann ein Erbe schnell zur Last werden. Aber Haltungen sich anzueignen, denen sich die Unternehmensgründer verschrieben hatten, Talente wiederzuentdecken, die damals zum Erfolg führten, befreit. Der Workshop handelt von einem solchen Aufbruch, das Überkommene zwar als Verpflichtung zu verstehen, aber nicht als Verkrustung: Zwei der Enkel von Adi Dassler haben sich dessen Lust an der Erneuerung und seinem handwerklichen Erfindergeist verschrieben. Sie haben sich zur Aufgabe gemacht, Zukunft zu wahren. Was ehedem zu einer Weltmarke im Sport geführt hatte, soll nun alle Chancen der Digitalisierung ausloten und ausnutzen. Am Beispiel des Adi Dassler International Sports Incubator wird gezeigt, wie sich Innovationen sinnvoll beschleunigen lassen und wie der kulturelle Wandel klug zu steuern ist, der mit solchen Veränderungen einhergeht. Das Programm hilft, treffsicher die passenden strategischen Ideen zu finden.

 

Sommersemester 2016

Der Prothesengott
Ist der Mensch antiquiert?

Giorgio de Chririco, Der große Metaphysiker

Giorgio de Chririco, Der große Metaphysiker

Der Mensch sei sozusagen eine Art Prothesengott geworden, bemerkt Sigmund Freud zum Stand des technischen Fortschritts. Und stellt zugleich fest, dass alle diese modernen Errungenschaften ihm auch zu schaffen machten, da er mit seinen „Hilfsorganen“ ja nicht verwachsen ist. Der hellsichtige Satz stammt aus dem Jahr 1930, lang bevor die informationstechnische Verschmelzung von Mensch und Maschine über genetische oder Nanostrukturen, durch Robotik oder künstliche Intelligenz zum Standardrepertoire von Zukunftsvorstellungen gehörten. Aus ihm spricht die Zwiespältigkeit von Kulturleistungen; doch jenseits davon vor allem die Frage, wer dieser Mensch denn sei, der sich derart zu optimieren vermag, dass er Gefahr läuft, sich selbst zu verlieren an das, was er schafft. Längst ist die Technik dabei, zu einer zweiten Natur des Menschen zu werden, gewinnt sie, die ehedem seinem Konstruktionswillen entstammte, an Selbstverständlichkeit in seiner Lebenswelt. Dass sie gleichwohl ein Problem bleibt, weil sie unser Selbstverständnis und den Selbstbehauptungswillen grundsätzlich neu zu bestimmen zwingt, behandelt das Seminar, das den Spannungsbogen abschreitet von Positionen, die den Menschen als antiquiertes Wesen betrachten, bis zu jenem kühnen Entwurf, der dem Menschen ungeahnt revolutionäre Möglichkeiten voraussagt.

 

Die Tiefe des Raums
Kleine Philosophie des Fußballs
Prof. Dr. Alfred Hirsch, Prof. Dr. Jürgen Werner

fussballEs sind weniger die vielen verstreuten Bemerkungen von Denkern, die sich als Fans des Fußballs geäußert haben, die in diesem Seminar behandelt werden – von Albert Camus, der ein höchst passabler Torwart war („Alles, was ich im Leben über Moral oder Verpflichtungen des Menschen gelernt habe, verdanke ich dem Fußball“), bis zu Karl-Heinz Bohrer, der dem Reden über Fußball eine absolute Metapher geschenkt hat („Netzer kam aus der Tiefe des Raums“). Spannender finden wir hingegen all jene Fragen, die sich mit der Beobachtung und Beschreibung dieses Sports ergeben: Was ist eine gute Mannschaft? Wie lässt sie sich aufbauen, organisieren, zum Erfolg führen, wenn es stimmt, dass elf geniale Einzelne noch kein geniales Ganzes ergeben? Wie verhalten sich spielerische Brillanz und Effizienz zueinander; lässt sich das eine fördern, ohne das andere zu stören? Welches Raumverständnis wird im Fußball vorausgesetzt?

Alfred Hirsch, Thomas Tuchel, Jürgen Werner

Alfred Hirsch, Thomas Tuchel, Jürgen Werner

Was bedeutet dort, strategisch zu denken und zu handeln? Wohin entwickelt sich das Spiel? Mit welchen Begriffen wird man es künftig besser bezeichnen können? Was ist eigentlich Spielintelligenz, wenn man unter ihr mehr verstehen will als eine Eigenschaft, die Instinktleistungen nahekommt?

Mehr unter Aus der Tiefe des Raums und Fußball und Philosophie mit Thomas Tuchel

 

Wintersemester 2015 / 2016

Workshop auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 12. bis 13. Februar 2016

Pflichten des Eigentums, Pflicht zum Eigentum. Über Formen unternehmerischer Verantwortung
Prof. Dr. Bolko von Oetinger, Prof. Dr. Jürgen Werner

Leiden Sie manchmal
unter der Verantwortung des Eigentümers,
die Sie nicht den andern überlassen können,
ohne Ihr Eigentum zu gefährden?
Max Frisch, Fragebogen

Zwischen „Mein“ und „Dein“ ist der Unterschied nicht leicht zu ziehen. Und doch legen wir darauf absoluten Wert, seitdem wir im Sandkasten die eigenen Förmchen verteidigt haben. Was dem einen gehört, soll dem anderen nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen. Privateigentum bezeichnet ein ausschließendes Verhältnis anderen gegenüber, das sich an Sachen orientiert. Der Staat soll es schützen, weil es ihn begründet als eine moderne, politische Organisation von Freiheitsrechten. Nun ist Freiheit aber vielleicht nur ein anderer Name dafür, dass wir verantwortlich heißen. Lässt sich also mit Fug folgern, dass das Eigentum anderen zugleich zugute kommen soll? Das Gemeinwohl, das in der Verfassung als eine Entsprechung zum Eigentum vorgestellt wird, berechtigt den Staat zur legalen Enteignung: Er erhebt Steuern. Aber verpflichtet es über den juristischen Zwang hinaus auch sozial oder gar moralisch? Wem gegenüber ist der Eigentümer verantwortlich? Gibt es eine ausgezeichnete unternehmerische Verpflichtung? Welche Formen könnte sie haben? Und müsste sie nicht in einer Zeit, in der der Zugang zu einer Sache über deren Besitz gestellt wird, als Pflicht zum Eigentum formuliert werden? (Familien-)Unternehmen riskieren erhebliche Teile ihres Eigentums für den Gewinn, aber auch für Arbeitsplätze, deren gesellschaftliche Bedeutung in Krisenzeiten gern erwähnt wird. Gibt es also eine doppelte Pflicht: die des Eigentümers, aber eben auch die des Staates, Eigentum zu fördern? Der Workshop versucht die Frage nach dem Eigentum als eine unternehmensstrategische Aufgabe zu entwickeln, an deren Ende die eine Einsicht steht: Nicht ist entscheidend, was einer hat oder nicht hat; aber welches Verhältnis er dazu hat, dass er besitzt, das ist wesentlich.

 

Der Mensch
Aspekte philosophischer Anthropologie

Menschliche Erbgutsätze

Menschliche Erbgutsätze

Der Mensch ist … ein Tier, das sprechen kann (Aristoteles), … ein vernünftiges Tier (Thomas von Aquin), … ein nicht festgestelltes Tier (Nietzsche), … der erste Freigelassene der Schöpfung (Herder), …, was wir alle kennen (Demokrit), … Mensch (Schiller) … das Maß aller Dinge (Protagoras), … nur an seiner Oberfläche Mensch (Valéry), … sich selbst das rätselhafteste Ding der Natur (Pascal), … das Wesen der untauglichen Mittel (Simmel), … sozusagen eine Art Prothesengott (Freud), … ist am Ende ein so freies Wesen, dass ihm das Recht zu sein, was er glaubt zu sein, nicht streitig gemacht werden kann (Lichtenberg). Kurz: Aus den vielen, höchst unterschiedlichen Definitionen, lässt sich zwar folgern, dass eine Bestimmung des Menschen mindestens schwierig sei, vielleicht aus guten Gründen ganz unterbleiben sollte. Doch wie viel nötiger wäre dann, dass er wenigstens beschrieben werden kann. Einige Deskriptionsversuche des zwanzigsten Jahrhunderts schauen wir uns näher an: etwa die von Paul Alsberg oder Ernst Cassirer oder Arnold Gehlen oder Helmuth Plessner oder, nicht zuletzt, Hans Blumenberg.

 

Sommersemester 2015

Geld oder Leben
Georg Simmel und die Frage nach dem Wert

Georg Simmel

Georg Simmel

Unter den Zuschreibungen, die dem Kapitalismus zuteil werden, ist die Behauptung, er sei „entfesselt“, die deutlichste. Denn sie packt ihn, jenseits des hysterischen Gestus, bei seiner Haupteigenschaft: zu befreien. Zwischen der abstrakten Regulation menschlicher Angelegenheiten durch das Geld und dem Prozess der Freiheit existiert eine Entsprechung, die weit über Strukturähnlichkeiten hinausgeht und nicht zuletzt das Gefährdungspotential von Freiheit berührt. „Entfesselung“ ist eben auch das prometheische Sprachbild für freigesetzte Energien, deren Wirkungen nicht mehr kalkulierbar sind. Es ist diese gar nicht harmlose Ambivalenz, die Georg Simmel zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts aufnahm, als der Begriff des Kapitalismus im europäischen Denken sein Hausrecht eroberte. In seinem „nachgelassenen Tagebuch“ findet sich eine Notiz, die sich wie eine Kurzformel seiner „Philosophie des Geldes“ von 1900 liest und die energetischen Eigenschaften des Kapitals bezeichnet: „Geld ist das einzige Kulturgebilde, das reine Kraft ist, das den substantiellen Träger völlig von sich abgetan hat, indem er absolut nur Symbol ist.“ Wie diese „reine Kraft“ arbeitet, ist Gegenstand des Seminars. Da Geld und Leben einander in vielem ähnlich sind, taugt das eine nicht nur als Metapher für das andere. Das Geld erlangt über sein Talent hinaus, die Allgemeinheit des Lebens anschaulich zu beschreiben, die Qualität eines Mittels, die menschliche Existenz manifest zu verändern. Doch was macht das Kapital mit dem Leben? Zentrale Fragen wie die nach dem Glück, der Freiheit, des Verhältnisses von Person und Funktion sollen erörtert werden anhand der Lektüre der „Philosophie des Geldes“.

 

Wintersemester 2014 / 2015

Workshop auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 13. bis 14. Februar 2015

Jenseits von Glück und Kalkül. Spielarten des strategischen Handelns
Prof. Dr. Bolko von Oetinger, Prof. Dr. Jürgen Werner

Das Glück schreibt mit weißer Tinte.
Woody Allen

Manchmal kommt es anders, als man denkt; nicht selten dann, wenn man alles darauf angelegt hat, dass es genau so kommen soll, wie man dachte. Dann macht das Leben einen eleganten Strich durch alle Rechnungen, die aufgestellt sind, und man muss aufpassen, dass der Preis nicht zu hoch ist, den man zu zahlen hat. Im Namen „Glück“ haben wir diesen Unwägbarkeiten ein beschwörendes, allerdings kaum begreifendes Passwort gegeben, das uns den Zugang verspricht zu der grundirritierenden Erfahrung, in unserem Handeln nicht alles in der Hand zu haben, trotz genauer Pläne. So freilich lassen sich Geschäfte nicht erfolgreich bestreiten. Wir richten daher alles ein, es auf den Zufall nicht ankommen lassen, und können Ungewissheit, Friktionen oder Fehler dennoch im Ganzen nicht vermeiden. Zwischen Kalkül und Fortüne spreizt sich das Feld der Strategie auf. Sie weiß, dass sich auf das Glück nicht setzen lässt, soll eine Sache gelingen. Aber traut deren Berechenbarkeit ebenfalls nichts Entscheidendes zu für einen guten Ausgang. Schon der Stiefvater aller Strategen, der geniale Carl von Clausewitz, spottet über jene Heereslenker, die sich der Mathematik verschrieben haben. Wie „funktioniert“ aber dann strategisches Denkens? Über dessen Wirkungsgrad will dieser Workshop zureichend Auskunft geben: auf dass Strategie als ein Können gesehen wird, das mehr ist denn ein blasser Stellvertreterbegriff für das Glück opportunistischen Handelns.

 

Passionen
Die Krisen des Gottesgedankens

Hans Blumenberg

Hans Blumenberg

Dass Philosophie neben ihren diagnostischen Talenten auch eine therapeutische Funktion besitzen könnte, begründet einen Streit um die Leistungskraft des Denkens. In ihm nimmt Hans Blumenberg, dem sich dieses Seminar widmet, eine höchst eigenwillige Position ein. Er bestimmt Philosophie als zielgeleitetes Erinnern an Mythen und Metaphern, dem die Aufgabe zuwächst, Fragen der Denkgeschichte wiederzuentdecken, die durch den Bestand möglicher und faktisch gegebener Antworten zugeschüttet, aber nicht erledigt wurden. Die Veranstaltung widmet sich einem besonderen Problemhorizont, dem Gottesgedanken, und versucht im Gespräch mit Blumenbergs Buch „Matthäuspassion“ die Belastungen und Bedürfnisse, die Unheimlichkeiten und das Unerledigte herauszuschälen, das Menschen mit der Erinnerung an Gott verbinden. Die Geschichte der religiösen Überlieferung wird als ein Konkurrenzspiel zwischen dem Menschen und der Gottesvorstellung gezeichnet, die zwar des Menschen eigene ist und der er sich dennoch nicht gewachsen zeigt.

 

Sommersemester 2014

Beratung
Die Entwicklung des strategischen Denkens

IMG_3343Mythen sind Geschichten, die mehr sein wollen als eine Geschichte. Sie rechtfertigen politische Machtverhältnisse, ordnen die Grundvorstellungen des Lebens, transformieren Ängste in nachvollziehbare Erklärungen. Eine dieser Legenden geht so: Zeus, der Herrscher auf dem Olymp, vermählt sich mit Metis. Nun bedeutet Metis nichts anderes als „kluger Rat“ – die Macht verbündet sich also mit der Beratung zwecks eines gemeinsamen Projekts. Die Verbindung trägt schnell Früchte: Metis ist schwanger. Doch was so erfolgreich begonnen hat, endet in einem perfiden Manöver. Zeus verschlingt seine Frau kurz vor der Niederkunft und nimmt sich das Recht, selber zu gebären. Mächtig ist, wer klug ist – klug genug, die Autorschaft für auffällige Einfälle sich anzueignen. Dass solche uralten Erzählungen noch plastisch genug sind, die Lebenswirklichkeit von Menschen heute deutend zu erhellen, kann als ein Indiz genommen werden: Es gibt in der Beratung wiederkehrende Muster, die zu entdecken lohnt. Themen des Seminars sind die Entwicklung des erkenntnisleitenden Dialogs zur Dialektik, das Verhältnis von Wissen, Klugheit und Weisheit, deren Beziehung zu Macht, die Überlegenheit und Verlegenheit der Urteilskraft, die Bedeutung der Strategie für das Denken und, nicht zuletzt, die Frage, ob Philosophie überhaupt dazu taugt, verständig Rat zu geben. Wer im vergangenen Semester über Orientierungsnöte und die Beratungsbedürftigkeit von Menschen schon nachgedacht hat, ist eingeladen, dies fortzusetzen. Studierende, die die Sache neu interessiert, sind willkommen.

 

Wintersemester 2013 / 2014

Workshop auf dem Familienunternehmer-Kongress
vom 14. bis 15. Februar 2014

Nicht nur anders, vor allem besser – Woher kommen die guten Ideen?
Prof. Dr. Bolko von Oetinger, Prof. Dr. Jürgen Werner

„Wenn mir nichts einfällt, dann lasse ich mir etwas einfallen.“
Woody Allen

Die Faszination, die wir dem Neuen entgegenbringen, entstammt vielleicht mehr der Unlust an Langeweile als dem wirklich Bahnbrechenden, das mit einer überraschenden Entdeckung verbunden ist. Das nämlich kommt so häufig nicht vor, dass eine Neuerung erfüllt, was ihr an Verheißungen auferlegt ist. Im Gegenteil: In dem Maße, wie der Aufbruch zu Neuem ein Dauerregulativ darstellt, sorgt er weniger für Bewegung, als dass Unsicherheit im Unternehmen einkehrt und das Vertrauen schwindet. Das Neue ist kein Selbstzweck, „Neuland“ nie nur die Aussicht auf schönere Verhältnisse. Wir fordern zwar den Wandel, unterschlagen aber, dass wir ihn genauso beargwöhnen. Als „Revolution“ ist er uns suspekt, im Talent der „Kreativität“ haben wir ihm eine undurchsichtige Triebkraft zugeschrieben, unter dem Namen der „Innovation“ ist er gezähmt worden. Da kommt alles darauf an, dass wir klug auswählen. Doch woher können wir wissen, was unter den vielen Angeboten, es anders zu machen, wirklich taugt? Wer sagt, dass die wiederholt vorgetragene Forderung, erfolgreiche Geschäftsmodelle zu verändern, obwohl sie allemal funktionieren, in diesem Fall das Unternehmen auf ein höheres Niveau heben wird? Wer beschließt, dass der eine verrückte Gedanke zum Ausgangspunkt für eine wertsteigernde Erneuerung wird? Kann man das im Vorhinein überhaupt differenzieren oder gehören Ausschuss, Zufall, Irrwege und Verluste zum notwendigen Risiko, das eingeht, wer vorankommen will? Der Workshop wird Kriterien und Methoden behandeln, die helfen diese Unterscheidungen zu treffen. Die Fragen behandeln den Kern strategischen Denkens und Handelns.

 

Beratung
Das Versprechen der Philosophie

Fingerlabyrinth an der Pfarrkirche in Beyenburg

Fingerlabyrinth an der Pfarrkirche in Beyenburg

Die Fähigkeit, Rat zu geben, ist nicht nur unter den Talenten des Menschen eine der ältesten – sie war vor allem ein Privileg der Älteren. Nestor, der betagte Held vor Troja, und Mentor, der bejahrte Freund des Odysseus, sie zählen zu den berühmten Beratern, die ihrer erfahrungsgesättigten Klugheit wegen hochgeschätzt wurden. Man musste eine gemessene Lebensspanne durchschritten haben und mit dem Weltlauf bestens vertraut sein, um als konsultationswürdig zu gelten. Nicht ohne Grund besaß in den mythischen Erzählungen Zeus den Beinamen: der Berater. Als die Philosophie ihren Anfang nahm mit der Ablösung weitschweifiger Göttergeschichten durch das klare Wort der Erkenntnis, verlor die Beratung ihren heroischen Nimbus. Nun tauchte sie auf im zweifelhaften Umkreis von gewerbetreibenden Menschen, die sich zum Zwecke eines besseren Geschäfts kühn darauf beriefen, mit der Weisheit besonders vertraut zu sein: die Sophisten. In der Auseinandersetzung mit diesen schärfte das Denken sein Profil, gezwungen zu einer Methode kategorialer Unterscheidung, und nicht zuletzt, um differenzieren zu können zwischen falscher und wahrer Beratung. Die Veranstaltung, die auf mehrere Semester hin angelegt ist, begibt sich in diesen Streit und versucht zu klären, welche notwendigen Eigenschaften dem konsiliaren Handeln angemessen sind. Was etwa trennt den Orakeldeuter vom modernen Problemlöser? Lässt sich über das Expertentum hinaus unter Rückgriff auf überkommene Vorstellungen eine vorsichtige Neubestimmung von Weisheit wiedergewinnen? Welche besonderen Eigenschaften besitzt die beratende Rede, die als klassische Form eine rhetorische Kunst eigenen Rechts repräsentierte? Und worin unterscheidet sie sich von den heute üblichen Arten der Intervention in Politik und Wirtschaft? Zu erörtern sind die Bedeutungen von Begriffen wie Orientierung, das Verhältnis von Macht und Einfluss, der Unterschied von Strategie und Perspektive oder die Frage, wie das Neue in die Welt komme. Vielleicht lässt sich so verstehen, was gemeint sein könnte mit der Antwort, die Seneca gegeben hat auf die Frage, was Philosophie der Menschheit denn verspreche: Beratung. Ob es ein falsches Versprechen ist?

 

Sommersemester 2013

Gedachtes unter Verdacht
Friedrich Nietzsche und die Genealogie der Moral

Friedrich Nietzsche

Friedrich Nietzsche

Dass Gedanken nicht nur gedacht, sondern auch unter Verdacht gestellt werden können, ist eine Einsicht, die der Aufklärung Auftrieb verschaffte. Mit ihrer Formel vom Priesterbetrug, die das Entstehen der Religion aus unlauteren Motiven herrschender Ritualverwalter erklärt, nahm sie ihre ideologiekritische Arbeit auf. Seither muss Philosophie auch selbstzweifelnd zu Werke gehen und alles, was gesagt und zu sagen ist, nach mehr als logischen Kriterien messen: Könnte es sein, dass neben der Welt der guten Ideen auch eine Hinterwelt schlechter Motive existiert, die bisher nicht zureichend intensiv bereist wurde? „Es gilt, das ungeheure, ferne und so versteckte Land der Moral – der wirklich dagewesenen wie der gelebten Moral – mit lauter neuen Fragen und gleichsam mit neuen Augen zu entdecken.“ Ein gewiss nicht unerhebliches Problem unter diesen Schwierigkeiten, die Nietzsche in der überkommenen Ethik findet, ist die Frage nach dem Wert der Werte, also die nach den Bedingungen und Umständen, unter denen sie sich entwickelt und verschoben haben. Ist Moral bloß ein Symptom, eine Maske, ein Missverständnis, eine Krankheit gar? Bevor also die Geltung von Moralbegriffen behauptet wird, muss ihre Genese präzise nachgezeichnet werden in einer Genealogie der Moral. Das Buch, das zu den wirkungsreichsten Schriften Nietzsches gehört, ist leicht zu lesen. Daher die Warnung des Autors, es täte bei der Lektüre vor allem eines not, etwas, „zu dem man beinahe Kuh und jedenfalls nicht ‚moderner Mensch‘ sein muss: das Wiederkäuen…“



Wintersemester 2012 / 2013

Das Wahre ist das Ganze, das Ganze ist das Unwahre
Dimensionen dialektisches Denkens

G. W. F. Hegel

G. W. F. Hegel

Es ist ein Spiel mit unseren Vorurteilen, das Hegel betreibt, wenn er die natürlichen Vorstellungen erwähnt, nach denen die Philosophie sich zunächst über das Erkennen zu verständigen habe, bevor sie sich dann an das Erkennen dessen macht, was in Wahrheit ist. So leitet er die „Phänomenologie des Geistes“ ein. Denn indem das dialektische Denken die Trennung zwischen einer Kritik unserer Einsichtsvermögen und der begrifflichen Bestimmung von Welt überwindet, gewinnt es auch eine komplexere Bedeutung von Wahrheit. Die „ist“ nicht einfach, sondern erschließt sich über einen Gedankengang, der sich nicht scheut, auch das Gegenteil seiner selbst in sich aufzunehmen, ja als sein treibendes Moment anzuerkennen. So scheitert jeder Satz methodisch an seiner Einseitigkeit; erst das vollständige System vermag Auskunft zu geben über das, was Erkenntnis genannt zu werden verdient, so dass selbst eine Formel wie die oft genutzte von der Ganzheit des Wahren dieser dialektischen Philosophie Unrecht tut. Man kann nicht zitieren, ohne zu verfälschen. Das wusste auch Adorno, welcher die Wendung: „Das Wahre ist das Ganze“ bricht mit der Gegenbezeugung: „Das Ganze ist das Unwahre.“

Theodor W. Adorno

Theodor W. Adorno

In der Dialektik des deutschen Idealismus wird der Widerspruch nicht ernst genug genommen. Er verliert seine Sperrigkeit, wird um der Eleganz eines systematisch folgerichtigen Fortgangs aufgegeben in seiner Fremdheit und Widerborstigkeit. Die Negation dient nur der Stabilität des Grundgedankens. Das Seminar skizziert diesen Streit zweier Formen von Dialektik und sucht Aufklärung am Nein und dem sprachlichen Umgang mit ihm, weil sich hier entscheidet, wie Wahrheit vernünftig gedacht werden kann.


Vertrauenssachen
Einblicke in die Lebenswelt der Wirtschaft

150_D4X46611Menschenbild und Ökonomie“ hieß die Tagung, auf der ich den Vortrag über „Vertrauenssachen“ gehalten habe. Das „Und“ als beliebtestes und beliebigstes Wort der Sprache ist das Entscheidende im Titel des Symposions. Es kann alles verbinden, auch das, was nicht zusammengehört: Land und Meer, Liebe und Hass, Gott und Welt, Elefanten und Bleistifte. Oder? „Das ist es doch gerade, was den Denker vom Laien abhebt, dass er ein Oder unterscheidet, wo dieser einfach ein Und setzt.“ So sagt es Robert Musil, und das ist die Aufgabe: in der Unbestimmtheit eines Verhältnisses die bestimmten Bedingungen einer Zuordnung zu finden.



Sommersemester 2012

Wahrheit und Freiheit
Die Verlegenheiten der Philosophie

Martin Heidegger

Martin Heidegger

Es ist der Dichter Heinrich von Kleist, der die Erschütterungen wiedergibt, welche die Kritische Philosophie ausgelöst hat. Er schreibt: „Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist oder ob es nur so scheint.“ Nach der Lektüre Kants, die ihm den unmittelbaren Zugang geraubt hat zu einer objektiven Welt, erscheint ihm alles fragwürdig. Man mag mit Fug zweifeln, ob der Poet den Philosophen angemessen verstanden hat. Aber auch eine Missdeutung gibt zuverlässig Auskunft über das, worum es dem aufgeklärten Denken geht: Mit dem Erkenntnisbegriff steht und fällt, was Wahrheit genannt zu werden verdient. In dem Maße, wie wir Wirklichkeit wahrnehmen oder konstruieren, bilden wir uns auch eine Vorstellung von Verlässlichkeit in der Sprache, die sich als Verbindlichkeit im Leben und Zusammenleben ausdrückt. Eine Gegenstandswelt, die über subjektive Bedingtheiten aller Art derart entrückt ist, dass von ihr ernsthaft nicht mehr die Rede sein kann, verliert ihren Charakter als Grundlage für ein gemeinsames Verständnis für das, worüber sich auszutauschen lohnt. Wo es nur noch ob der vielfältigen Abhängigkeiten des Bewusstseins meine oder deine „Wahrheit“ gibt, verlieren wir nicht nur die Fähigkeit zur Orientierung, sondern letztlich auch die, zwischen Optionen zu wählen. Mit der Wahrheitsfrage stellt sich das Freiheitsproblem. Das wussten die Denker der Neuzeit, denen es bei aller Logik des Erkennens um die Entdeckung geht, dass menschlich zu sein voraussetzt, sich irren und lügen zu können. Die Veranstaltung setzt das Seminar des Wintersemesters über den Wahrheitsbegriff fort, lädt aber ein, auch jetzt erst einzusteigen und sich mit Philosophen zu beschäftigen, die wissen, dass es keine Gewissheit gibt, ohne das Denken in seine äußersten Verlegenheiten getrieben zu haben.



Wintersemester 2011 / 2012

Was ist Wahrheit?
Die Frage der Philosophie

Pinocchio

Pinocchio

Wohl keine andere Frage erreicht den Rang, auf das Ganze eines philosophischen Denkens anzuspielen. Selbst dort, wo sich die Philosophie verabschiedet hat von der Überzeugung, eine Totalität erfassen zu können, drückt sich das aus im Wahrheitsbegriff. Adornos Formel, das Ganze sei das Unwahre, nimmt verzweifelt teil, an der Vorstellung, gegen die sie sich wendet: Hegels kühnem Satz, das Wahre sei das Ganze. An der Beantwortung des Problems, was Wahrheit sei, scheiden sich also die Geister; und über die gefundene Erwiderung entscheidet sich, was Wirklichkeit und deren Erkenntnis genannt zu werden verdient. Wer den Anspruch erhebt, Verbindliches zu sagen und Objektivität zu versichern, vermag dies nicht zu leisten, ohne dass er zugleich Rechenschaft ablegen könnte über sein Verständnis von Wahrheit. Dabei gerät er in eine gedankliche Untiefe. Denn wie sollte eine Erwiderung auf die Frage, was Wahrheit sei, etwas anderes sein wollen als eine Antwort, die implizit behauptet, wahr zu sein, – und so voraussetzen, was allererst zu erschließen ist? Die Veranstaltung beginnt mit einer gar nicht resignativen Folgerung aus dieser Schwierigkeit, mit Nietzsches philosophischem Paukenschlag: „Wahrheiten sind Illusionen“, sagt er, „von denen man vergessen hat, dass sie welche sind“, und lässt den Zwang zur Lüge damit gründen in ihrem Gegenteil. Durch Lektüre seiner kleinen Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn“ erarbeiten wir uns zunächst das Niveau, das sich in der Frage, was Wahrheit sei, ausdrücken will und das allemal mehr anzeigt als eine Spezialität der Sprache und Spitzfindigkeit der Logik, sondern über das Denken in Lebenseinsichten reicht.



Sommersemester 2011

Sprache und Verstehen
Zur Hermeneutik in Hans-Georg Gadamers „Wahrheit und Methode“ (Fortsetzung)

Hans-Georg Gadamer

Hans-Georg Gadamer

Das Erstaunen, mit dem das Philosophieren nach alter Überzeugung eingesetzt haben soll, ist die heilsame Form des Erschreckens. Wer sich wundert, ertappt sich dabei, seinen Beunruhigungen mit einer Deutung beizukommen und den beängstigenden, ja bedrohlichen Anteil dieser Verstörungen durch eine Erklärung oder im besseren Fall durch Erkenntnis nachhaltig zu mildern. Wahrscheinlich ist es Menschen ähnlich ergangen, als sie erstmals mit der Kraft ihrer Laute und Worte Bekanntschaft machten. Dass ihre Rufe oder Befehle, ihr Werben und Wehklagen, die Verlockungen und Versagungen nicht im Unendlichen verhallen, sondern manchmal eklatante Fernwirkungen erzeugen, hat sie dauerhaft irritiert. Worte haben Kraft, sie besitzen die Macht, auf Distanz Handlungen zu erzeugen, sie können stimulieren, ermutigen, bereichern, verletzen, zerstören, töten. Jedes Nachdenken über Sprache hat also mit diesen „göttlichsten Taten“ zu tun, als die der erste große Rhetor im antiken Griechenland, Gorgias von Leontinoi, die schöpferischen und vernichtenden Einflüsse des Redens kennzeichnete. Die Veranstaltung will in der Auseinandersetzung mit philosophischen Texten eine kleine Anthropologie des sprechenden Menschen entwickeln. Sie bezieht sich – nicht allein, aber ausdrücklich – auf das große Sprachkapitel in Gadamers „Wahrheit und Methode“. So setzt sie fort, was im Wintersemester unter dem Titel „Verstehen“ in eine Auseinandersetzung mit der Hermeneutik geführt hat.



Wintersemester 2010 / 2011

Verstehen. Ein Missverständnis?
Zur Hermeneutik in Hans-Georg Gadamers „Wahrheit und Methode“

Hans-Georg Gadamer

Hans-Georg Gadamer

Dass das Fremde nicht fremd bleibt, auch dann, wenn man es sich kaum zu Eigen machen kann: Das ist die Aufgabe des Verstehens. Es übernimmt die Funktion zu vermitteln zwischen mir und dem anderen, und sei es, dass es dabei erhebliche Unterschiede überbrücken müsste. Dieser Anspruch stellt sich, solange wir leben. Welt haben Menschen in dem Maße, wie sie verstehen. Selbst dort, wo etwas unverständlich bleibt, wird diese Begrenztheit als Widerstand einer Wirklichkeit wahrgenommen, die sich verweigert: als Absurdes, als Eigensinn oder Unheimliches. Hier geht es allerdings nicht nur um Respekt und Toleranz. Auf dem Spiel steht eher, was Realität zu heißen verdient. Wie aber ist Verstehen möglich? Eines der bedeutendsten Bücher in der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts hat diese Frage zu seinem Leitmotiv gemacht: Hans-Georg Gadamer entwickelt in seiner Schrift „Wahrheit und Methode“ eine Theorie der Hermeneutik, die mehr ist als eine Grundlegung von Wissenschaft. Sie will das Ganze der Welterfahrung beschreiben. Dabei geraten Fähigkeiten in den Blick wie Bildung, Urteilskraft, Geschmack, und in allen die Sprache des Menschen als dessen Talent, sich eine Welt zu schaffen.