Man unterschätze nicht das unternehmerische Risiko, das von der Standardisierung von Prozessen ausgeht: Ihr Ideal ist die Überraschungsfreiheit, ihr Effekt oft das Durchschnittliche.
Monat: Juni 2024
Entscheidungsschwach
Das Niveau einer Demokratie hängt ab davon, dass man nicht nur eine Wahl hat, sondern eine Alternative geboten wird. Was nützt die Form, wenn der Inhalt fehlt.
Vor den Wahlen
Aus einer Freitagabendlektüre
„Die gefährlichste Gegend in Deutschland sei Sachsen und Thüringen: nirgends gäbe es mehr geistige Rührigkeit und Menschenkenntnis, nebst Freigeisterei, und alles sei so bescheiden durch die hässliche Sprache und die eifrige Dienstbeflissenheit dieser Bevölkerung versteckt, dass man kaum merke, hier mit den geistigen Feldwebeln Deutschlands und seinen Lehrmeistern in Gutem und Schlimmem zu tun zu haben.“*
Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, § 324
Gewusst, was
In einer Wissensgesellschaft, die ausgezeichnet ist durch die Überfülle an Informationen und das Übermaß an Daten, kommt alles darauf an, sinnvoll wegzulassen. Nicht, womit wir vertraut sein müssen, ist entscheidend für das Erkenntnisniveau, sondern genau zu verstehen, was wir nicht zu kennen brauchen.
Zu wissen, was fehlt
Ich weiß, was fehlt. Und kann es sagen. Das ist die Leistung, die das Denken voranbringt.
Macht und Ohnmacht des Rechts
Die Ohnmacht des Rechts zeigt sich überall dort, wo die Gewalt zur Regel wird. Denn mit ihr als Mittel, Probleme zu lösen, fällt weg, was eine Voraussetzung ist für die Anrufung des Gerichts: die prinzipielle Anerkennung des Gesetzes als gewaltminderndes, weil Grausamkeit und Brutalität kanalisierendes Institut. Nie hat es Kriegstreiber interessiert, wenn Politiker sie zur Räson rufen. Die Vernunft der Aggressoren und Provokateure ist radikal reduziert auf ihre instrumentelle Funktion.
Die ambivalente Neugier auf sich selbst
Vorsicht vor denen, die Selbsterkenntnis versprechen: Es könnte sein, dass wir beim genaueren und tieferen Blick ins Eigene am Ende feststellen müssen, dass wir uns auch nicht mehr so gut leiden können.
Belastbare Freundschaft
Unter allen Beziehungsformen zwischen Menschen ist die Freundschaft die belastbarste.
Ich ist ein Anderer
Körperbeherrschung: die Fähigkeit, gestisch ganz und gar ein Fremder sein zu können.
Unberechenbar
Nur im juristischen Sinn: wie müsste man eine künstliche Intelligenz heißen, die eine Entscheidung getroffen hat und nun befragt wird, über sie Rechenschaft abzulegen? Wohl unzurechnungsfähig. Das beschreibt das Missverhältnis zwischen noch so großer Rechtfertigungbedürftigkeit und immer noch größerer Rechtfertigunglücke. In Wahrheit ist es unmöglich herzuleiten, was wie ein Entschluss pointiert präsentiert wird. 
Unklar, undurchsichtig, unheimlich
Der alte Grundsatz moderner Wissenschaft, nach dem wahr genannt zu werden verdient, was wir selber gemacht haben, diese Formel der Durchschaubarkeit*, die zum Grundverständnis neuerer Technik gehört, wird untergraben von dem, was wir künstliche Intelligenz nennen. Die Technik der Zukunft dient dem Menschen so lange, wie er sich ihr unterordnet. Er wird sie nicht mehr verstehen können, ist aber gezwungen, ihr zu „vertrauen“.
* Giambastista Vico hat das Prinzip der Erkenntnis erstmals im Jahr 1710 in den Grundsatz gelegt: verum et factum convertuntur.
Alles ist erlaubt
Vorsicht vor einer trügerischen Freiheit, die einem fast alles erlaubt. Sie besagt nur: Auf dich kommt es nicht mehr an.
Nichts sehen, nichts merken
Mixtur für die perfekte Sozialunverträglichkeit: Gesichtsblindheit und ein mangelhaftes Namensgedächtnis, verfeinert mit einem Schuss Scheu.
Politischer Befreiungsschlag
Nach dem politischen Skandal: die Zuständigen werden verantwortlich gemacht. – Zuständigkeit kann man delegieren; Verantwortung nicht.
Alternativfrei
Die schönsten Entscheidungen sind jene, die nicht getroffen werden müssen als Wahl zwischen Entweder-Oder, Hier oder Dort. Sondern die keiner Alternative bedürfen, weil es im Entschluss nur darum geht zu ergreifen, was schon vor einem liegt, Stellung zu beziehen zu dem, womit man längst zu tun hat. Da bedeutet „Sich entscheiden“: ein Verhältnis aufbauen, das Verbindlichkeit mit sich bringt.
Wenn mit der Macht …
Viel von dem Elend, das ausgeht von denen, die lenken und leiten, lässt sich zurückführen auf einen Bewusstseinsmangel: nämlich dass jedes Streben nach Macht im selben Maß die Übernahme von Verantwortung verlangt. Für andere zu entscheiden aber bedeutet mehr, als nur in deren Sinn eine Wahl zu treffen. Macht ohne Verantwortung befriedigt den Eigennutz. Verantwortung ohne Macht degradiert die Sorge für andere zur wirkungslosen Sorge um andere.
Verordnete Leichtigkeit
Leichtigkeit lässt sich nicht verordnen. Aber Ordnung ist, was Leichtigkeit ermöglicht.
Leerformel
Es ist eine Leerformel ohne Erkenntnisgewinn, das Allerweltswort „Nachhaltigkeit“ zu übersetzen mit: Zukunftsfähigkeit. Da gilt eher das Gesetz, es ist ein ehernes Gesetz: Zukunft hat, wer geistreich genug ist, sich durch die Ungewissheit kommender Zeiten in seinen besten Talenten provozieren zu lassen.
Todesanzeige
Eine Beobachtung: Die interessantesten und lustigsten Geschichten über Menschen werden auf Beerdigungen erzählt.
Politik des Ressentiments
Eine Hoffnung im Flüsterton: Es ist zu viel Groll gegenüber den Mächtigen in der Partei, die sich alternativlos als Alternative versteht, um sich mit der Macht anzufreunden.
Das Niveau der Kritik
Die schärfste Kritik an Positionen ist immer noch ein Inhalt, der sie überflüssig macht. Nirgendwo ist der Widerspruch und dessen Überlegenheit größer als in jenen Darlegungen, die anderes schlicht ignorieren lassen.
Wählerwille
Mehr als den Wähler zu gewinnen, ist die höchste Aufgabe der Politik, die Wirklichkeit nicht zu verlieren.
Über die Stränge
Das Schicksal der modernen Wirtschaft ist, dass alle Neuerungen, Erfindungen, alles Schöpferische und Produktive nur mit einer grundsätzlich positiven Einstellung zu dem gelingt, was früher verachtet und verdammt wurde als Maßlosigkeit. Es ist den Tugendhaften nicht vergönnt, die eigenen Grenzen zu sprengen. Vielleicht muss man akzeptieren, dass Erfolg und die klassische Vorstellung von Anstand einander strukturell widersprechen.
Politik als Beruf
Der Berufspolitiker ist ein Wesen, das mehr als andere aus Antworten besteht, zu denen er die Fragen verloren hat, auf die sie einmal reagiert haben.