Monat: August 2025

Unter Umständen

Gewisse Sätze beginnen mit „Vielleicht …“. Es ist das Wort mit der größten Gewissheit. Wenn das Gewissen sich äußert, sagt es eines nie: Vielleicht.

Die Rückseite der Ethik

In Ermangelung der Fähigkeit, gültig zu bewerten, was man getan hat, sollte eine Ethik vielmehr beurteilen, was man versäumt hat zu tun.

Oder nicht

Entweder man hat sie, oder nicht: Zur Erhabenheit einer Moral gehört, dass sie sich nicht sinnvoll einfordern lässt. Das wirkt jedesmal betulich, nicht selten peinlich. Das Gute lässt sich nicht verordnen, wahrscheinlich nicht einmal erbitten. Umso bedenklicher ist die neu erwachte Sehnsucht nach einer starken Moral in sittlich unbehausten Zeiten. Sie wiederzugewinnen, führte in der Vergangenheit regelmäßig über politische Barbarei, Gewaltherrschaft, das brutale Diktat des Dünkels, der Heuchelei und Verlogenheit. Die Moral wird allzu unmoralisch, sobald man sie erzwingen will.

Die Fremdheit des Vertrauten

Aus einer Abendlektüre

Die Versuche, aus den Räumen der Heimat von Fremdheit gereinigte Orte zu machen, verkennen, dass Fremdes und Fremdartiges auch im Innern unserer Heim- und Lebenswelt notwendige Voraussetzung von Heimat sind. Und dies ist nicht einzig an den besonderen Räumen und ihren Unzugänglichkeiten festzumachen. Denn auch die in ihnen lebenden Menschen sind nie ganz und gar an einem Ort. Sie arbeiten hier und sind mit ihren Gedanken bei einem Kinobesuch am späten Abend in der Nachbarstadt, sie warten an einer Bushaltestelle und wünschen sich, bereits bei ihren Freunden am anderen Ende der Stadt zu sein oder sie sitzen bequem auf ihrem Fauteuil zu Hause und sehnen sich nach einem Abendessen in einem Pariser Restaurant, in dem sie vor einigen Wochen diniert haben.
Nie sind wir ganz und gar da, wo wir sind. Wir sind immer auch mit unseren Gefühlen, Gedanken, Wünschen und Erinnerungen an anderen Orten. Anders als Steine oder tief verwurzelte Bäume können wir uns fortdenken und können fortgehen. Wir sind dann immer ein bisschen woanders, während wir uns doch hier in unserer Wohnung oder an unserem Arbeitsplatz befinden. Unserem Begehren und unserem Wunsch, irgendwo zuhause zu sein und uns zu beheimaten, widerspricht dies nicht. Wir sind nicht heimatlos, weil wir uns manchmal an einen anderen Ort und zu anderen Menschen wünschen.“*

* Alfred Hirsch, Heimatweh. Eine philosophische Erzählung, Baden-Baden 2025, 119

Negative Anthropologie

Die Un-möglichkeit, den Menschen zu definieren, führt konsequent in das Verfahren negativer Bestimmung, das schon aus der Religionswissenschaft bekannt ist: Von Gott sinnvoll zu reden bedeutete mangels klarer Einsichten der negativen Theologie, die seit Platon die Un-aussprechlichkeit des Höchsten postulierte, all jene Eigenschaften zu benennen, die ihm nicht zugeschrieben werden können. Ähnlich könnte man in der Anthropologie vorgehen. Und muss feststellen, dass es kaum etwas gibt, was sich nicht aussagen lässt über ein Wesen, dessen zentrales Merkmal wohl seine Widersprüchlichkeit ist. Der Mensch ist das Tier, das mit sich selbst un-eins ist.

Aber hallo

Empfindsame Sprachgemüter hören in der Anrede „Hallo …“ noch den Imperativ mit, den das Wort, das um Aufmerksamkeit buhlt, einst innehatte. Es war der Ruf, der dem Fährmann galt am anderen Ufer, dass er sich beeilen möge; man sei bereit zum Übersetzen. In der Schriftform wirkt die Begrüßung – um in der Bildwelt der Überfahrt zu bleiben – je nach der Herkunft plump oder platt. Wird das Hallo eingesetzt, wo eher ein „Sehr geehrter …“ sich ziemte, unterstellt es eine Vertrautheit, die es nie gab. Löst es das „Lieber …“ ab, hat es meist auch die Vertrautheit abgegeben und will sie ersetzen durch eine neue, verkrampfte Lockerheit. „Hallo“ taugt kaum in der titelnden Textform. Umso größer ist das „Hallo!“, auch anders, auf der zweiten Silbe betont, mit der Überraschung, die es ausdrückt.

Politik der Falschheit

Mit der Lüge hat die Drohung eines gemeinsam: Sie verliert ihre Kraft, wenn sie wahrgemacht werden soll.