Monat: Oktober 2025

Zwischentöne

Ein guter Redner hört nicht nur sich selbst zu, sondern er vernimmt auch, was sein Auditorium jenseits des Gesagten an Zwischen- und Untertönen wahrnimmt und ihm widerspiegelt.

Variationen des Nichtssagens

Verstummen, bevor die Worte ihr destruktives Potential entfalten.
Schweigen, damit die rechten Worte gefunden werden können.
Stillesein, wo kein einziges Wort genügt.

Beschränkt

Aus einer Sonntagslektüre

„Die Disziplin ist ein Kontrollprinzip der Produktion des Diskurses. Sie setzt ihr Grenzen durch das Spiel einer Identität, welche die Form einer permanenten Reaktualisierung der Regeln hat. Gewöhnlich sieht man in der Fruchtbarkeit eines Autors, in der Vielfältigkeit der Kommentare, in der Entwicklung einer Disziplin unbegrenzte Quellen für die Schöpfung von Diskursen. Vielleicht. Doch ebenso handelt es sich um Prinzipien der Einschränkung, und wahrscheinlich kann man sie in ihrer positiven und fruchtbaren Rolle nur verstehen, wenn man ihre restriktive und zwingende Funktion betrachtet. Es gibt … eine … Gruppe von Prozeduren, welche die Kontrolle der Diskurse ermöglichen. Diesmal handelt es sich nicht darum, ihre Kräfte zu bändigen und die Zufälle ihres Auftauchens zu beherrschen. Es geht darum, die Bedingungen ihres Einsatzes zu bestimmen, den sprechenden Individuen gewisse Regeln aufzuerlegen und so zu verhindern, daß jedermann Zugang zu den Diskursen hat: Verknappung diesmal der sprechenden Subjekte. Niemand kann in die Ordnung des Diskurses eintreten, wenn er nicht gewissen Erfordernissen genügt, wenn er nicht von vornherein dazu qualifiziert ist. Genauer gesagt: nicht alle Regionen des Diskurses sind in gleicher Weise offen und zugänglich; einige sind stark abgeschirmt (und abschirmend), während andere fast allen Winden offenstehen und ohne Einschränkung jedem sprechenden Subjekt verfügbar erscheinen.“*

* Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 25f.

Ich selbst

Die wertvollste und gefährlichste Form von Identität: einen festen Platz zu haben in einer Geschichte, die nicht die eigene ist.

Befund: Bedürftig

Nur der, welcher seine Liebesbedürftigkeit gut zu verstecken weiß, bekommt die Liebe, nach der er sich sehnt.

Frohsinns Sinn fürs Frohe

Wenn Trauer eine Variante des Frohsinns wäre, fehlte in ihr dem Sinn fürs Frohe der Sinn, froh zu sein. Der Frohsinn verschwindet ja nicht, auch nicht in den Zeiten, in denen ihm die Heiterkeit abwegig erscheinen muss. Es widerspricht sich nicht, fröhlich zu sein, wenn man trauert.

Super, der Markt

Immer wieder dieselbe Verlegenheit: Die Ware ist nicht zu finden im Supermarktregal. Dafür aber eine der wenigen Mitarbeiterinnen. „Darf ich Sie etwas fragen?“ Die stereotype Antwort, die meistens kommt – „das hamse doch gerade schon, junger Mann“ – bleibt diesmal aus. Stattdessen: „Ja, aber nur ein Mal.“ Die eigentliche Frage also, wo diese Sache denn stehe, verbietet sich. „Ich suche …“ „Da haben Sie aber Glück“, sagt die kundige Kollegin. „Was glauben Sie, was ich den ganzen Tag über alles suche. Nur mich sucht keiner. – Hier.“ Sie holt das begehrte Objekt mit schnellem Griff aus dem obersten Fach. Das gemurmelte „Danke“, das die Verblüffung überspielt, kommentiert sie noch: „Ich versteh‘s ja auch. Den meisten bleibt die Spucke weg, wenn ich den Mund aufmache. Ich bin ihnen zu frech. Aber mit dir tät‘ ich‘s versuchen. Du bist einer von der schnellen Sorte und hast kapiert, dass man da keine Nachfrage stellt. Schade. Und tschüss.“ Es gab keine Gelegenheit, irgendetwas Verbindliches zu erwidern. „Ja, tschüss!“

Sitz im Leben

Man achte nicht auf die Wortwahl, auf das Wie, sondern darauf, wann eine Sache erklärt wird: Die meisten Begründungen sind versteckte Rechtfertigungen. Der Sitz im Leben einer Argumentation ist die Legitimation.

Brücken bauen

Denken bedeutet, die Sprünge zwischen den Sätzen und die Brüche in ihnen zu überbrücken. So wird aus einer losen Folge von Gedanken ein System von Folgerungen, in der Schilderung von Dramen ist die Dramatik erkennbar. Gründe verdichten sich zu einer Begründung, Assoziationen verschwinden in einer Argumentation. Was ehedem Stimmung gewesen ist, erreicht das Niveau der Stimmigkeit. Und anschauliche Sprachbilder ergeben ein Bild von der Sache.

Große Erzählungen

Nicht jeder, der erzählen kann, hat auch etwas zu sagen. Ob es gelingt, ja möglich ist, aus der Geschichte zu lernen, ist in der Sache nicht ausgemacht. Aus den Geschichten allerdings lässt sich ziehen, mehr als das, was deren Autor in sie hineingelegt hat, um sie auf eine Pointe hin zu bauen. Große Berichte zeichnen sich dadurch aus, dass sie nie ohne eine Einsicht übermittelt werden können. Jede Erinnerung ist eine Zumutung an die Gegenwart und gefährdet sie, wenn sie um ihrer selbst willen erzählt wird.

Das Geheimnis der Schlaflosigkeit

Sind es die Gedanken, die einen nicht schlafen lassen; oder ist es die Schlaflosigkeit, die solche Gedanken erzeugt?

Zweimal Denken

Auch wenn sich alles mögliche denken lässt, ist das, was gedacht werden kann, das Wirkliche.

Vorläufig handeln

Demokratie lebt von der Überzeugung, dass die vorläufigen Problemlösungen für eine Gesellschaft verträglicher sind als die, welche den Anspruch erheben, endgültig zu sein.

Das Paradox der Freiheit

Je weiter wir unsere eigenen Grenzen verschieben, desto klarer erkennen wir unsere eigene Beschränktheit.