In einer komplexen Welt muss man sich als Experten bestimmen, um ernstgenommen zu werden. Also dann: Der Philosoph ist der Spezialist fürs Allgemeine.
Kategorie: Allgemein
Balance of Power
„Die expansive Tendenz ist ein Verhängnis …, das den späten Menschen des Weltstadiums packt, in seinen Dienst zwingt und verbraucht.“ So beschreibt der berüchtigte Oswald Spengler (Untergang des Abendlands, 51) vor knapp hundert Jahren das Los, das der Imperialismus für uns bedeutet. Man muss ihm, widerwillig, wohl Recht geben bei einem Blick auf die digitale Weltkarte, welche die Verteilung der Macht im Internet zeigt: Google und Facebook beherrschen die westliche Hemisphäre, Baidu und Yandex die östliche. Wer mit den Augen kneift, meint eine Darstellung aus den Zeiten des Kalten Kriegs zu sehen.

Weltkarte des Internets im Jahr 2013 (Lizenz: CC-BY-NC, Foto: Oxford Internet Institute), Quelle: suedddeutsche.de vom 6. Oktober 2013
Postheroisch
Der moderne Held ist von seinen Abenteuern pünktlich zur Tagesschau zurück.
Es wird zäh

Nach der Wahl ist vor der Wahl
„Aufgabe mit imaginären Größen:
1 sozialdemokratische Partei hat in 8 Jahren 0 Erfolge. In wieviel Jahren merkt sie, dass ihre Taktik verfehlt ist?“
Kurt Tucholsky (unter dem Pseudonym Kaspar Hauser), Rechenaufgaben, in: Die Weltbühne, 31.08.1926, Nr. 35, S. 355
180 Grad
Die schwierigste Einsicht vor jeder neuen politischen Koalition: Man muss akzeptieren, dass aus dem Unerträglichen von gestern der Unentbehrliche von morgen geworden ist.
Nur nicht zuviel denken
Die häufigste Ursache für ein Missverständnis: Bei derselben Sache denkt der eine sich nichts und der andere zuviel. Schwierig, wenn man diesen Unterschied persönlich nimmt.
Neureich
Man erkennt den Neureichen der Bildung an denselben Merkmalen wie den Neureichen des Geldes. Beiden fehlen die großen Tugenden der Selbstverständlichkeit: Sie müssen zur Schau stellen, was sie erworben haben, hier das ein bisschen zu edel ausgestattete Auto, dort das ein wenig zu entlegene Zitat.
Auf Ausgleich bedacht
Nach Niederlagen erfolgen nicht nur Verantwortungsgesten, trotzige Analysen oder reumütige Erklärungen, sondern klugerweise kommt oft die Einsicht auf, dass in jedem Verlust ein Gewinn stecken kann. Die hilft, es künftig anders zu machen. Das sollten die Überlegenen verstehen und nicht die Symmetrie des Triumphs unterschätzen: Denn auch umgekehrt gilt, dass jeder Sieg seinen Preis hat, der pünktlich zu zahlen ist. Den genau zu kennen, gehört zur Bilanz eines Erfolgs. Im Gefühl der Unantastbarkeit wird wenig davon gesprochen. Auch wenn der Gegner bezwungen ist, lauert der viel gefährlichere Feind im Sieg selbst: als Überheblichkeit, als Starrsinn, als Undank. So mancher, der diese Ambivalenz missachtet hat, musste schon für seinen Erfolg bitter büßen.
Koalitionsspiele
„Der Ball liegt nun eindeutig im Spielfeld von Frau Merkel.“*
Die neue Hymne der Großen Koalition?**

*Peer Steinbrück am Wahlabend zur Frage, ob er sich eine Große Koalition wünsche.
** Das Lied von Pippi Langstrumpf hat Andrea Nahles kurz vor der Wahl im Bundestag gesungen, als Kritik an der schönfärbenden Selbstbewertung der Regierungsarbeit durch die Kanzlerin. Der schräge Vortrag wurde schnell zum Youtube-Hit. Der Kanzlerin gefiel’s. Für sie beschreibt das Stück präzise die Gestaltungsaufgabe von Politik. – Wandmalerei am Kindergarten im Freiburger Vauban-Viertel.
Botanische Gerechtigkeit
Auch der Gärtner bemüht sich um eine nicht-diskriminierende, gerechte Sprache: Das, was einst als Unkraut verunglimpft wurde, heißt nun politisch korrekt Beikraut. Herausgerissen wird es trotzdem.
Wahlhilfe
Die deutlichste Differenz zwischen den Kandidaten: viele nutzen den Wahlkampf, damit der Bürger die Politik kennenlernt, wenige verstehen ihn als Gelegenheit, dass der Politiker den Bürger kennenlernt. Dem entsprechen Wähler, die ihre Stimme zumeist für Jahre wieder abgeben, wenn sie ihre Stimme überhaupt noch abgeben.
Urnenwahl

Intelligenzmangel
Das Klügste, das ich je hörte über die Schwierigkeit, sich in einer fremden Sprache auszudrücken, stammt von der britischen Regisseurin Lily Sykes. Aufgefordert, in Deutsch über eine neue Inszenierung zu reden, reagierte sie blitzschnell: But in English I’m much more intelligent.
Innenarchitektur der Ideenräume
Es wird kein Zufall sein, dass große Gedanken oft an kleinen Schreibtischen erdacht wurden. Ob die umgekehrte Regel auch gilt?
Ruhe im Karton
Kompromiss: der Anfang der Selbstaufgabe, das Ende der Selbstbehauptung. Dazwischen gerade noch Platz für ein instabiles Gleichgewicht.
Nicht zu fassen
Vieles hört auf, unheimlich zu sein, wenn man es nur ausspricht. Das Wort bannt, das wussten schon Mythen und Märchen. Sobald der Name erraten, der Begriff gefunden ist, löst sich die Beklemmung. Welch boshafte List, dass die weltweit verbreitete Angst vor Freitag, dem dreizehnten, eine Bezeichnung hat, die ganz und gar unaussprechlich ist: Triskaidekaphobie.

Von Sinnen
„Niemals kann man Augen, die einen ansehen, schön oder hässlich finden“, notiert Sartre.* Ob er da nicht auf einem Auge blind ist? Die Faszination eines wirklich attraktiven Menschen ist doch, dass man aus dem Dilemma nicht herausfindet, zugleich hinschauen zu müssen und wegschauen zu wollen, weil die Augen, die einen ansehen, allzu schön sind, und man selber durch den eigenen Blick nicht verraten möchte, dass man das sieht.
* Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts, 344
Gleichschaltung
Überraschungsfreiheit auf allen Kanälen. Wohin man auch schaltet: die gleichen Gesichter, die gleichen Fragen, die gleichen Phrasen. Zwei Wochen vor der Wahl ist auch das Fernsehprogramm „alternativlos“. Die Kanzlerin hat gewonnen.
Theatersaison
Man vergisst leicht, dass auch Glaubwürdigkeit inszeniert sein will. Keiner ist glaubwürdiger als ein guter Schauspieler.
Rhetorisch leben
Manchmal beschert uns das Leben mit einer Radikalität, die nur dazu taugt, die allzu Nächsten zu erschrecken. Da geht es nicht um Entschlossenheit, kaum um tiefe Überzeugungen, wenig um Konsequenz. Ein Ärger, der plötzlich ausbricht und schnell verraucht, äußert sich in der Regel rhetorisch. Auch wenn er reagiert auf das, was ist, interessiert ihn doch vor allem, wie er wirkt.
Kurze Frage
Mitten im Gespräch unvermittelt die Frage: Was ist ein Gedanke? Die Runde verstummt und sucht zu lang nach einer Bestimmung. Vielleicht ist das eine Definition: Was das Denken nicht mehr loslässt, im zwiefachen Sinn. Gedankenverloren heißt nicht, dass man den Gedanken verliert. Eher noch die Zeit, am Ende sich selbst.
Tauschgeschäft
In der Demokratie kauft sich nicht der Bürger den Politiker, sondern der Politiker den Bürger.

Lass mal
Freund: einer, dem man nichts erklären muss, auch wenn er vielleicht nicht alles versteht.