Wen die Tugendwächter mit der Compliance nicht erwischen, erledigen sie unter großem Beifall mit der Political Correctness.
Kategorie: Allgemein
Tarnkappe
So manches, was man mit wohlmeinendem Blick zunächst für den Feinsinn der Diskretion hält, entpuppt sich alsbald als schnödes Desinteresse.
Exitstrategie
Dem faulen Zauber des Anfangs erliegt, wer sich keine Gedanken macht, wie die Sache enden könnte.
Ich doch nicht
In dem Maße, wie die Zuständigkeiten in Politik und Wirtschaft, Institutionen oder Organisationen unterteilt sind und ihre Anzahl stetig wächst, schwindet die Verantwortung. Sie wird absorbiert von wohlausgeklügelten Prozessen, abgewiesen in seitenlangen Dokumentationen, versteckt hinter leeren Floskeln der Freundlichkeit. Wenn es darauf ankommt, ist es keiner gewesen; verantwortlich sind immer nur die anderen. Ein Großteil der strukturellen Anstrengungen beim Auf- und Umbau von Behörden oder Unternehmen geht in die Versachlichung der Zurechnung: Schuld sind, wenn überhaupt, der Ausfall einer Technik, fehlgeleitete Informationsflüsse, ein System, das in einem unwahrscheinlichen Einzelfall versagt hat. Wo trifft man Verantwortung noch an? Außer in Hochglanzbroschüren als Marketing-Vokabel für eine Haltung, die sich gleich der Gesellschaft, der Umwelt oder des Mitarbeiters im ganzen elegant angenommen hat, vor allem in der Antwort auf die Frage, warum in der Leitung weit über das Durchschnittsmaß hinaus verdient wird. Man habe ja die Verantwortung, heißt es erklärend. Sie ist zur Rechtfertigungsformel für ein Spitzengehalt verkommen.
Unternehmensaufbau
Gute Unterhaltung
„Darf ich fragen, was Sie machen?“
„Ich arbeite in der Unterhaltungsindustrie.“
„Funk oder Fernsehen?“
„Nichts von beidem. Ich bin Wirtschaftsethiker.“
Sublim
Eine der schwierigsten Leistungen des Kunstverstands: die Übersetzung des Habenwollens ins Seinlassen.
Verantwortungslos egoistisch
Noch eine Bemerkung zu unserer Zeit: In ihr wird zu wenig „Ich“ gesagt und zu viel Ich gelebt.
Formfrage
Auf der Suche nach dem verlorenen Inhalt: Das Folgenreiche dominiert das Folgerichtige. Die Wirkung überragt die Wirklichkeit.
Anamnesis
Nach vielen Jahren Rückkehr an einen tief vertrauten Ort. Nichts scheint sich geändert zu haben in der Zwischenzeit. Der Stein, einst versetzt, um einen Pfad freizulegen, liegt immer noch unberührt an derselben Stelle, das Wasser des Bachs plätschert unausgesetzt, als kenne es keine andere Bestimmung, kein Baum ist wirklich in die Höhe gewachsen. Auch die einsame Bougainvillea auf der Wiese hat ihre dürftige Form behalten, knapp kniehoch steht sie in der Blüte. Kaum dass sie frisch austreibt, werden ihre Knospen weggeknabbert von den Feinschmeckern unter den streunenden Rehen, die sich in den Garten trauen. Der Strauch hatte nie eine Chance, groß zu werden. Nichts verlässlicher als ein solcher Ort, denkt er. Er, der Ort, ist sich gleich geblieben. Und er, der Mensch? Natürlich hat er sich verändert, lebenseinschneidend sogar. Aber überwältigt von der wohlbekannten Stimmung, einer Atmosphäre des Gelassenen, des Friedens und heimlichen Zuhauses, schießt ihm durch den Kopf: Identität ist ein erinnertes Gefühl, kein Bewusstsein.
Männer, die auf Smartphones starren
„Die sind viel zu alt dafür“, mokiert er sich, weil zwei Gäste am Nachbartisch des Restaurants über Minuten auf ihre Smartphones starren und das Gespräch miteinander eingestellt haben. „Jünger als wir“, sagt die Freundin. Sie, die mehr als zwei Jahrzehnte Abstand zu ihm hat, erklärt sich feinfühlig mit ihm alterssolidarisch. So kann er leichter ertragen, dass sie seine Marotte entlarvt, alle anderen für deutlich ergrauter zu halten als sich selbst. Und den wohl altersunabhängigen Trend auch noch mit einem Ausdruck kundig zu benennen weiß, den er noch nie gehört hat: Phubbing, eine Mischform aus „phone“ und „stubbing“.
Horror vacui
Jeder Sonntag ist die Erinnerung daran, dass die Lücke nicht gefüllt werden muss.

Frei nach Peter Panther: Die Lücke ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt.
Menschenwürde
Was das Menschliche auszeichnet: dass es den Unterschied zwischen Rätsel und Geheimnis kennt.
Berufszyniker
Es ist kräftezehrend, sich immer wieder gegen die Erfahrung zu stemmen, die einem weismachen möchte, man wüsste, wie eine Sache ausgeht. Wer das Ende immer schon zu kennen meint, fängt irgendwann nicht mehr an.
Konkurrenzsituation
Eine der wichtigsten Fragen, denen wir Zeitgenossen nicht werden ausweichen können: Wie gelingt es einer Weltgesellschaft, die das Begehren in der Heroisierung des Wettbewerbs entfesselt hat, jenes Missverhältnis zu befrieden, das zwangsläufig entsteht, wenn es immer mehr zu wünschen gibt, als an Bedürfniserfüllungen produziert werden kann? Es ist ein Irrtum zu meinen, dass sich den Konflikt erspart, wer die Konkurrenz hat.* Konkurrenz ist der Konflikt, aus dem Kriege entstehen.
* Vgl. Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, 102
Zurechtgestutzt
Diskretion: der Versuchung widerstehen, den anderen nach dem eigenen Bilde zu beurteilen.

Der Mensch als Maß aller Dinge? Nichts überforderte ihn mehr
Sprachlosigkeit
Der häufigste Grund, warum Menschen verstummen und ihre Beziehung verödet: moralische Überforderung. Einer verlangt genau dort eine Entschuldigung, wo der andere nicht einmal sieht, dass er schuldig geworden sein könnte.
Aufgeräumt
Theoretisieren: eine Welt ordnen.
Denken: eine Welt ordnen, ohne zu langweilen.
Lachen ist gesund
Die Lachfalten sind die einzigen Alterserscheinungen, die ein Gesicht jung machen.
Denken und Handeln
Zeitknappheit ist die Feindin der Philosophie und die Freundin der Rhetorik. Sie zwingt das Denken aufzuhören, um ins Handeln zu kommen. Sie verbietet das endlose Gespräch über Wahrheit oder deren Begründung und verführt es, Plausibilität für ein gutes Ergebnis zu halten. Sie fragt nicht nach der Wirklichkeit allein, sondern danach, ob sie auch wirksam werden kann.
Unser Wagniskapital
Die größten Fehler entstehen beim Versuch, Fehler zu vermeiden. Besser: Dieser Versuch ist der größte Fehler.
Darf es ein bisschen mehr sein?
Es ist keine Nachlässigkeit der Sprache, dass wir nicht genau wissen, was wir wirklich sagen, wenn wir versuchen, das Genaue auszudrücken. Das Maß und seine Ableitungen von unmäßig bis maßlos beschreibt in der Absicht, Auswüchse präzise zu beschränken, keine Zahlengröße. Nichts weniger können wir exakt angeben als das, was es ist, obwohl es der Begriff des Exakten zu sein beansprucht. Umso bestimmter lässt sich allerdings formulieren, wozu es gut ist. Mit der Vorstellung, alles habe ein ihm eigenes Maß, regelt eine Gesellschaft ihre Idee von Gerechtigkeit und stellt ihr ein handlungsleitendes Korrektiv zur Seite, dem schlecht widersprochen werden kann. Alles Übermäßige hat nur den Anschein, als Ergebnis einer Messung taxiert worden zu sein. Dabei ist es nur das zwingende Gegenbild einer ausgleichenden Moral.
Mitbringsel
Die Sprechstundenhilfe am Telefon: „Bringen Sie ein bisschen Zeit mit. Der Doktor hat keine.“ Das ist das Unerträgliche am Warten, dass wir von vornherein wissen, unserer Geduld werde am Ende nicht entsprochen mit demselben Maß an Aufmerksamkeit.
Bewusstlosigkeit
Was einer guten Rede am ärgsten zusetzt: gut reden zu wollen.
