Zum Scheitern verurteilt

Aus einer Sonntagslektüre

„Viele Lebensversuche können wir nur in begrenzter Zahl wiederholen. Zur Führerscheinprüfung sind wir zwei- oder dreimal zugelassen. Zu einem Examen ebenfalls nur zweimal, höchstens dreimal. Als Ehepartner dürfen wir uns vier- oder fünfmal versuchen, zu mehr reicht unsere Lebenszeit nicht. In vielen Disziplinen ist es verboten, ein einziges Mal zu scheitern. Wir scheitern trotzdem, fühlen uns fortan als Gescheiterte und nennen uns doch nicht so; wer will sich schon selbst stigmatisieren? Es sei denn, wir sind als Gescheiterte prominent geworden und dürfen über unser Unglück öffentlich plaudern.“*

* Wilhelm Genazino, Omnipotenz und Einfalt, in: Ders., Der gedehnte Blick, 99