10. Sonntagskolumne: Grenze

Aus gegebenem Anlass: zum Mauerfall am 9. November 1989 

… Die Grenze ist ein tragisches Symbol. An ihr zeigt sich, dass wir uns vergeblich mühen, ohne Verletzungen durchs Leben zu finden. Wir müssen sie überschreiten – die Grenzen der Höflichkeit, der Fairness, des Wissens, der Nähe wie der Distanz, des Vertrauens oder der Belastbarkeit –, sie alle stehen der eigenen Entwicklung im Weg. Im Gefühl, die eigenen Möglichkeiten nicht ausgereizt zu haben, schlummert Unzufriedenheit, genauso wie in der Gewissheit, sie überstrapaziert zu haben, ein Scheitern offenkundig wird. Zwischen beiden wählen zu können, ist eine Alternative, die zu entscheiden sich auf keine Tendenz zu berufen vermag. Nirgendwo wird die menschliche Endlichkeit sinnfälliger als dort, wo die Sehnsucht, sich zu entfalten, auch als Hang zur Übersteigerung entdeckt wird …

Aus den Tagesrationen. Ein Alphabet des Lebens. Das Buch erscheint morgen.