Monat: März 2025

Das Leben feiern

Am besten feiert man das Leben, indem man es nicht aufhält durchs viele Feiern. Sondern fröhlich lebt.

Wahrheit und Widerwort

Nichts irritiert Wahrheit weniger, als dass man ihr widerspricht. Sie kann gar nicht gedacht werden ohne Gegenrede.

Es reicht

Die Geschichten, aber auch die große Geschichte, nähmen eine andere Wendung, wenn die in sie verstrickten Menschen begriffen, dass sie längst hätten gehen sollen. In nichts mangelt es ihnen so an Talent wie bei der rechten Bestimmung des Endes von Verhältnissen, von Karrieren oder Positionen, Rollen und Mustern, die sie lang genug lebendig ausgefüllt haben.

Du hast keine Wahl

Zu den tiefsten Einsichten der Freiheit gehört, dass Unabhängigkeit paradoxerweise in dem Maße wächst, wie die Zahl der Abhängigkeiten zunimmt. Dann nämlich erst entsteht die glückliche Situation, wählen zu können, ohne fürchten zu müssen, dass einer seine exklusive Rolle ausnutzte. Es ist ein Irrtum zu glauben, Eigenständigkeit sei ein Synonym von Ungebundenheit. Das gilt im Politischen wie im Privaten gleichermaßen.

Noch zu retten?

Nach einer Talkshow über die Koalitionsverhandlungen: Wenn wir nicht endlich aufhören, Unangenehmes schönzureden, anderes schlechtzumachen und mit Falschaussagen das Offenkundige zu beleidigen, wird das nichts mit der Zeitenwende. Dann wendet sich die Zeit gegen uns. Der viel bemühte und oft eingeklagte Respekt beginnt als Achtung vor der Wirklichkeit. Sie ist das vornehmste Kriterium für das, was zu sagen ist. Man nennt das nach alter Weise Wahrheit.

Unsere Welt

In seiner zeitlichen (ziemlich kurz) und räumlichen Beschränkung auf das Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts hat sich Michel Foucault geirrt. Aber als beschriebe er unsere gegenwärtige politische Welt, in der durch schnelle Dekrete, Abschiebung und Drohung mit Gefängnis gesellschaftliche Fakten geschaffen werden, hat er vor fast fünfzig Jahren Formen absolutistischer Macht untersucht.

„Das System aus Siegelbrief und Einsperrung war nur eine ziemlich kurze Episode: kaum länger als ein Jahrhundert und auf Frankreich beschränkt. Gleichwohl hat es seine Bedeutung in der Geschichte der Mechanismen der Macht. Und zwar bringt es nicht den spontanen Einbruch der königlichen Willkür, sondern eher deren Aufteilung in komplexe Bahnen und in ein Spiel von Ansprüchen und Antworten. Mißbrauch des Absolutismus? Vielleicht. Doch nicht in dem Sinne, daß der Monarch seine eigene Macht schlicht und einfach mißbraucht, sondern in dem Sinne, daß ein jeder die Enormität der absoluten Macht für sich, zu seinen eigenen Zwecken und gegen die anderen verwenden kann; die Mechanismen der Souveränität stehen jedem zur Verfügung; jeder, der geschickt genug ist, kann ihre Effekte zu seinen Gunsten verwenden. Daraus ergeben sich einige Konsequenzen: die politische Souveränität läßt sich auf das elementarste Niveau des Gesellschaftskörpers herab; von Untertan zu Untertan – und es handelt sich manchmal um die niedrigsten; unter den Mitgliedern ein und derselben Familie, innerhalb von Nachbarschafts-, Interessen-, Berufs-, Rivalitäts-, Haß- und Liebesbeziehungen kann man außer den traditionellen Autoritäts- und Gehorsamswaffen auch das Instrumentarium einer politischen Macht zu Geltung bringen, die die Form des Absolutismus hat; jeder kann, wenn er das Spiel zu spielen weiß, für den anderen ein schrecklicher und übergesetzlicher Monarch werden: homo homini rex; eine ganze Kette der Politik überkreuzt sich mit dem Einschub des Alltäglichen.
Aber diese Macht muß man sich wenigstens für einen Augenblick aneignen, man muß sie kanalisieren, erschleichen und in die gewünschte Richtung leiten; man muß sie, um sie für sich ausnützen zu können, „verführen“; sie wird gleichzeitig als Objekt von Begehrlichkeit und das Objekt von Verführung; sie wird also ansehnlich und dies in dem Maße, in dem sie fürchterlich ist. Die Intervention einer unbegrenzten politischen Macht in die Verhältnisse des Alltags wird also nicht nur annehmbar und vertraut, sondern zutiefst gewünscht und gleichzeitig und aus demselben Grund auch allgemein gefürchtet.
Dieser Hang hat allmählich die taditionellen an die Familie gebundenen Zugehörigkeits- und Abhängigkeitsverhältnisse auf die administrativen und politischen Kontrollen hin geöffnet. Und so muß man sich auch darüber nicht wundern, daß die maßlose Macht des Königs, die derart inmitten der Leidenschaften, der Rasereien, der Elende und der Gemeinheiten funktioniert hat, trotz oder vielmehr wegen ihrer Nützlichkeit, zu einem Gegenstand der Verabscheuung werden konnte. Diejenigen, die die Siegelbriefe einsetzten, und der König, der sie erließ, wurden Opfer ihrer Komplizenschaft: erstere haben ihre traditionelle Autorität mehr und mehr zugunsten einer administrativen Macht verloren; und der König, der jeden Tag in soviel Haß und Intrige verwickelt war, ist hassenswert geworden.“*

* Michel Foucault, Das Leben der infamen Menschen, 32ff.

Einer für alle

Hat je einer einmal die Ungeheuerlichkeit der Anmaßung verspürt, die im verlogenen Anspruch einer jeden Autokratie und Diktatur steckt: dass es zum Wohle aller sei, wenn einer ihnen diene? Weil das jedes Maß menschlicher Möglichkeiten sprengt (es gab in der Geschichte dieser Welt nur einen, der sich so erniedrigte, dass er, dieser eine, für alle einstand ein für allemal – Jesus), haben sich die Potentaten dieser Welt verabredet, statt zu dienen, allein zu herrschen. Und alle anderen dienen zu lassen.

Das falsche Versprechen der Philosophie

Philosophie, das ist die Fähigkeit, in den großen Problemen die richtigen Fragen zu stellen, nur um zu begründen, warum es darauf keine wahren Antworten geben kann.

Die Quelle der Ideen

Ein Mensch von Esprit kann nie nur ernst sein.

Klaro

Eine Erklärung abgeben, das ist der noch unvollständige Teil einer Aussage, die Klarheit schaffen will. Zur Erklärung wird sie erst, wenn der, dem sie gilt, sie als solche auch angenommen hat. Jede Erklärung ist ein impliziter Dialog, der die bestätigende Erwiderung sucht: Das trifft zu. Ohne diese Antwort mag die Sache zwar aufgeschlüsselt sein, beschrieben und bezeichnet. Aber klar wird sie erst im Urteil, das das angesprochene Subjekt als Prädikat vergibt.

Was eine Beziehung stabil hält

Mindestens so wichtig wie das, was man miteinander erlebt hat, sind es die Geschichten, die man einander noch erzählen will, weil man sie nicht hat teilen können, die eine Beziehung lebendig erhalten. Die Formen der intensiven Zwischenmenschlichkeit, Liebe und Freundschaft, ziehen ihre Erhaltungskraft aus Erinnerung und Erwartung gleichermaßen.

Die Katastrophe auslachen

Aus einer späten Abendlektüre

Chaplin, der die Katastrophen durchwandert, die wir lachend exekutieren – und nun füge ich hinzu: der uns zugleich die Tricks verrät, mit denen sie unser desto sicherer Herr werden können: wenn er zurücktritt, hat der Gully sich geschlossen, wenn er sich umdreht, ist der Bär hinter dem nächsten Felsvorsprung verschwunden –, aber jeder Clown, der in den kleinen Katastrophen die großen präsent sein läßt, ist eine Widerstandsfigur, nicht mythologischer Schicksalsfunktionär, nicht auch bloß philosophischer Schicksalskomplize. Möge es uns nicht so gehen wie den Personen der folgenden kleinen Geschichte (allerdings, das Personal dürfen wir uns, so wenig wie im Traum, nicht auf verschiedene Personen verteilt vorstellen): Ein reisender Komiker, zu Gast in einer mittelgroßen Stadt, wird zu einer festlichen Veranstaltung geladen. Er gibt sich große Mühe, sein Publikum zu erheitern, aber alle bleiben sie todernst. Am Ende dankt der Bürgermeister dem Vortragenden für den ungewöhnlichen Abend: alle hätten es sehr schön gefunden. Allerdings, fügt er hinzu, sie hätten sich auch sehr zusammennehmen müssen, nicht laut herauszulachen.“*

* Klaus Heinrich, „Theorie“ des Lachens. Zu Aby Warburgs 50. Todestag, in: Ders., dämonen beschwören, katastrophen auslachen, 72

Selber denken

Die beiden Grundvoraussetzungen, selber zu denken: Neugier und das Talent, sich irritieren zu lassen.

Kurze Fastenpredigt

… dass die größten Aufgaben nicht allein über große Ansprüche zu bewältigen sind, sondern vor allem auch durch großen Verzicht.

Kaltes Kalkül

In Machtspielen ist die Rolle der Vernunft, weit entfernt, Ziele zu setzen, darauf beschränkt, die Wege sich auszudenken, wie sie erreicht werden können.

No Deal

Eine Verhandlung ist in dem Maße erfolgreich, wie beide Parteien wissen, dass nicht alles verhandelbar ist. Nur der Rigorist wie der Opportunist meinen, feste Prinzipien und Kompromisse schwächten sich gegenseitig – dieser indem er auf sie verzichtet, jener weil er auf ihnen starrsinnig beharrt.

Beharrungsvermögen

Es ist nicht nur ein physikalisches, es ist auch ein politisches Gesetz: Die Masse ist träge. Sie setzt sich nur schwer in Bewegung; einmal allerdings beschleunigt, lässt sie sich nur mit größter Mühe aufhalten. Wer radikale Änderungen beabsichtigt, muss vor allem schnell handeln. Revolutionen sind immer Ereignisse von hoher historischer Geschwindigkeit.

Was heißt „Denken“?

Denken bedeutet, nicht nur sagen zu können, was ist, sondern genau zu beschreiben, was fehlt.

Das Glück des Vergessens

Gefragt, was glücklich mache, kann die Antwort nur lauten: nicht daran denken zu müssen. Das ist Teil der Selbstvergessenheit, dass sie unter Vernachlässigung dessen, was mir zugute kommt, die Bedingung schafft, dass mir Schönstes zufällt. Das Glück sucht sich jene, die es mit sich überraschen kann. Traurig verdient bezeichnet zu werden, dass eine Welt, in der die Selbstdarstellung ins Zentrum der Handlungsmotive gerückt ist, verlernt, was Selbstvergessenheit meint. Und mit ihr das Glück verliert.

Und das noch. Und jenes

Es gehört zur Unzulänglichkeit der Sprache, dass sie die Bestimmtheit ihrer Aussagen erkaufen muss, indem sie verkürzt sagt, was auch noch anders und reicher hätte ausgedrückt werden können, ja müssen. Sätze benötigen Punkte, die nicht nur ihr Ende markieren, sondern im besten Fall die Pointe des Gedankens. Dennoch gehen sie so einen Pakt ein mit der Ungerechtigkeit. Vieles bleibt unausgesprochen, um das klar und deutlich zu benennen, wovon sie handeln. Sie werden der Sache nicht gerecht, die still einfordert, dass dieses auch noch mit angesprochen hätte sein müssen, und erst recht jenes. Wieviel weniger noch leistet die Sprache, wenn sie eine Person beschreibt. Da schreit jeder Satz lautlos von all dem, was ausgespart worden ist. Das ist das Klagelied eines Nachrufs.

Wenn Staaten spekulieren

Eine der riskantesten Spekulationen, auf die sich demokratische Staaten einlassen, ist die auf die Trägheit ihrer Bürger. Sie rechnen zuverlässig mit deren Passivität zwischen den Wahlen und legitimieren so stillschweigend auch kühne oder widersinnige Regierungsprogramme. Nur dass gegenwärtig, und das kennzeichnet die Gewagtheit dieses Kalküls, jede provozierte politische Regung in der Gesellschaft bei nächstbester Gelegenheit das System in Frage stellt.

Auf Pump

Schulden, die ein Staat macht, sind – vielleicht nicht ökonomisch, aber – moralisch immer nur dann gerechtfertigt, wenn mit dem Geld jetzt etwas erkauft oder erwirtschaftet wird, was sich später bei denen auszahlt, die aufkommen müssen für das, was an Belastung aufgenommen worden ist. So dass man mit Recht vermuten darf, dass sie zugestimmt hätten. Die Entkoppelung indes zwischen den Gegenwartsverbrauchern, denen das Geld zugute kommt, und jenen Späteren, die mit Zins und Tilgung auszulösen haben, was an Verpflichtung eingegangen wurde, nimmt den Schulden jegliche Form von Produktivität, nicht zuletzt weil mit der Delegation finanzieller Lasten an nachfolgende Generationen auch noch eine Schuld einhergeht, deren Anrechnung sich entziehen, die sie sich aufgeladen haben.

Angst vor Verantwortung

Aus einer Sonntagslektüre

„Befreien wir uns von allen Illusionen. In der Menschenmasse selbst wirkt eine reaktionäre, mörderische, entwicklungshemmende Macht, die alle Anstrengungen der Freiheitskämpfer immer wieder zuschanden macht. Diese reaktionäre Macht in den Menschenmassen erscheint als allgemeine Angst vor Verantwortung und als Angst vor Freiheit. Dies sind keine moralischen Werturteile. Diese Angst wurzelt tief in der biologischen Konstitution des heutigen Menschen.“*

* Wilhelm Reich, Massenpsychologie des Faschismus, 294

Frag mal

Der Maßstab für die Qualität einer Antwort ist  – nicht, welche Nachfragen sie erzwingt, sondern –, welche Fragen sie ermöglicht.