Nur der verdient, großzügig genannt zu werden, der nicht darauf setzt, dass seine Freigebigkeit erwidert wird. Generosität ist die Suspension des do ut des.
Monat: Mai 2025
Basiskurs Rhetorik
Wer kein Gespür für die Widersprüchlichkeit des Lebens hat, hat nichts zu sagen. Nichts sagen muss hingegen, wer dem schrecklichen Ideal Authentizität folgt und die Übereinstimmung mit sich selbst sucht. Da kommt nichts, was überrascht.
Im Überschwang
Im Überschwang verliert der Mut sich selbst. Er hat in Wahrheit eine viel größere Nähe zur Verzagtheit als zur Hybris. Als überwundene führt er die Erinnerung an sie immer mit und kennt seine Grenzen. Der Übermut hat vergessen, woher er stammt.
Da täuschst du dich
Unter den vielen fragwürdigen Erziehungsfolgen, die oft genug herhalten müssen für ebenso fragwürdige spätere Rechtfertigungen, gibt es mindestens diese eine zweifelsfreie: Wem selber in jungen Jahren dauernd gesagt wurde, dass er sich in den Dingen, die er meint, klar zu sehen, täusche, wird nicht selten als Erwachsener andere betrügen. Das zu klein geratene Ich wertet sich auf im Triumph, das Gegenüber hinters Licht geführt zu haben. (Eine Beobachtung für das Kapitel „Wenn Politik zu persönlich wird“)
Körper und Geist
Sagt das etwas aus über eine Rangordnung? Wenn der Körper erschöpft ist, muss das nicht auch den Geist ermüdet haben; im Gegenteil macht sich gelegentlich eine eigentümliche Frische im Kopf bemerklich, obwohl die Glieder schmerzen und die Muskeln nach Entspannung sich sehnen. Umgekehrt ist das nicht so.
Die alte Leier
Wer mit anderen zu lang sein Spiel treibt, muss sich nicht wundern, wenn dieses Spiel verdirbt. Gegner wie Partner stets neu zu erschrecken mit Drohungen, Forderungen, übermäßigen Beschränkungen und sie wenig später zurückzunehmen, als sei nichts gewesen, sorgt am Ende nur dafür, dass mit jeder Wiederholung die Wirkung nachlässt. Bis Wut über den ausbleibenden Effekt und Irrationalität die Selbstentmachtung zuverlässig einleiten. Dann wird es ernst.
Für andere
Es gibt Talente, die werden erst in dem Moment zu eigenen Fähigkeiten, wenn man sie für andere einsetzt.
Die Gesellschaft der Freiheit
Die beiden Grundbedingungen gesellschaftlicher Freiheit sind die Unabhängigkeit durch Geld und die Unbestechlichkeit des Rechts.
Friedenspolitik
Aus der Geschichte zu lernen heißt zu verstehen, dass der Friede nur gedeiht, wo das Selbstverständliche im Lebensalltag der Menschen regiert, aber am wenigsten selbstverständlich ist, dass der Friede herrscht.
Vielfalt
Demokratisch gesinnt zu sein bedeutet, dem Wir mehr zuzusprechen, als sich aus der Addition der vielen Ich ergibt, die es bilden. In der Demokratie hat das Wir eine Dimension eigenen Rechts.
Innerer und äußerer Friede
Die Friedensbemühungen der Politik, die in Wahrheit nur die Waffen zum Schweigen bringen können, weil es gelingt, Feinde wieder ins Reden zu führen, so dass sie sich in Gegner verwandeln, diese Anstrengungen, Argumente zu finden wider den ausgelebten Hass definieren das, was sie als Frieden ausgeben, in Abgrenzung vom Krieg. Frieden ist der Zustand, nach dem der Krieg beendet ist. Jener andere, nicht nur äußere Frieden, der aber auch nicht bloß ein Seelenfrieden ist, lässt sich indes allein gewinnen aus einer Lebensselbstverständlichkeit, in der das Nachdenken über das, was passieren könnte, aufgehört hat. Er ist nicht bestimmt durch die Negation zum Krieg, sondern ist eine Ausdrucksform der Freude. Kaum auszudenken, wenn ehemalige Feinde diese Phase des Umgangs miteinander erreicht haben. Es muss das große Ziel bleiben der Weltpolitik.
Mega
Aus einer Abendlektüre
„Der ehrgeizige Geldmann ist heute in einer schwierigen Lage. Wenn er den älteren Mächten des Seins ebenbürtig sein will, so muß er seine Tätigkeit an große Ideen knüpfen; große Gedanken, die widerspruchslos geglaubt würden, gibt es aber heute nicht mehr, denn diese skeptische Gegenwart glaubt weder an Gott noch an die Humanität, weder an Kronen noch an Sittlichkeit – oder sie glaubt an alles zusammen, was auf das gleiche hinauskommt. Also mußte der Kaufmann, der des Großen so wenig entbehren will wie eines Kompasses, den demokratischen Kunstgriff anwenden, die unmeßbare Wirkung der Größe durch die meßbare Größe der Wirkung zu ersetzen. Groß ist nun, was für groß gilt; allein das heißt, daß letzten Endes auch das groß ist, was durch tüchtige Reklame dafür ausgeschrien wird, und es ist nicht jedermann gegeben, diesen innersten Kern der Zeit ohne Beschwernis zu schlucken.“*
* Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften 1, 432f.
Viele Perspektiven, ein Gedanke
Das ist die zentrale Zuversicht der Aufklärung: In dem Maße, wie jeder selbstständig denkt, wächst der Wille zur Einmütigkeit.
Körperklang
Wenn das Orchester sich in einen Rausch spielt, löst sich die Musik von den Solisten, vom Dirigenten, vom Notenblatt. Souverän geworden erfüllt den Raum ein einziger Körperklang, der sich selbst genug, jeden Klangkörper verwandelt in ein universales und totales Instrument.
Mehr als ein Sieg
Es ist ein Irrtum, dass es im Wettkampf am Ende immer nur um Erfolg oder Niederlage geht. Der Sport kennt mehr als diese Alternative: mindestens Sieger und Verlierer und, nicht zuletzt, Gewinner. Diese leiten sich nicht unmittelbar ab davon, ob sie triumphiert haben. Gewinnen meint, aus beidem, dem Gelingen wie dem Fehlschlag, die richtige Folgerung gezogen zu haben.
Diskrepanz
Ein Kennzeichen unserer Zeit ist die Unmäßigkeit, ja Totalität von Ansprüchen. Das reicht nicht nur in die wirtschaftliche Dominanz des Leistungsgedankens; es meint auch weniger so manche ungezügelte Forderung junger Menschen ans Leben, von dem sie, selber passiv, erwarten, dass es sie angemessen unterhält, im Doppelsinn: Unterhaltung bietet und Unterhalt. Die ungeheure Wucht von Ansprüchen verdichtet sich vor allem dort, wo das gegenwärtige Handeln ein radikales Verlangen künftiger Generationen mitbedenken muss, sich leiten lässt von Menschen, die noch nicht geboren sind, bei der Beschränkung des Ressourcenverbrauchs, angesichts von Investitionen in Klimaneutralität, nicht zuletzt im Kampf wider den Egoismus derer, die jetzt leben. Eine solche Herrschaft von nicht zuletzt abstrakten Ansprüche setzt voraus, dass man fähig ist, sich dem anderen verstehend zu öffnen, sich in seine Position hineinversetzen zu können. Und das um einer Generation willen, der genau diese Haltung weitgehend abgeht.
Ganz schön
Lieben heißt, einen Mensch so schön zu machen, wie er nicht ist. Liebe macht nicht blind, sondern öffnet die Augen für das, was noch nicht ist.
Lust an der Negation
Wir leben in einer Zeit, in der es allemal cooler ist, gegen etwas zu sein, als für etwas einzustehen. Sie ist nicht ins Gelingen verliebt, sondern ins Misslingen. Kritisch zu sein bedeutet da, es nicht anders zu machen oder gar besser, sondern es besser zu wissen und anders zu wollen.
Einen Schritt weiter
Fortschritt in der Philosophie bedeutet, die Fähigkeit weiterzuentwickeln, immer wieder vorn anzufangen.
Mensch sein
Wenn der Mensch allen anderen Lebewesen überlegen ist, dann darin, dass er sich mit seinem Feind versöhnen kann.
Wie der Erfolg sich selber im Weg steht
Zwischen dem unbedingten Willen zum Erfolg und dem Erfolg steht oft die Angst vor dem Erfolg. Sie erinnert daran, dass selbstgesteckte Ziele zu erreichen nicht die Lösung, sondern gelegentlich das Problem sein kann.
Heulsuse
Es gibt Opern, die scheinen nur komponiert zu sein, damit Männer im Schutz der Dunkelheit ungehemmt schluchzen können. Sie zählen zu den schönsten.
Charmante Unverschämtheiten
Die meisten Unverschämtheiten wirken, im Dialekt gesprochen, charmant.
Woher weißt du das?
Nicht durch den notorischen Zweifel, sondern durch seine Hartnäckigkeit, nur gelten zu lassen, was sich legitimieren lässt, zeichnet den kritischen Geist aus. Seine Frage lautet stets: Woher weißt du das?