Aus einer Samstagslektüre
„Wer das Vorausberechnete als Beispiel von Zukunft ansieht, verstümmelt ,Zukunft‘. Künftigkeit ist nur da, wo ein Gebot vor mich tritt und mich in seine Einbruchstelle hineinreißt wie ein Magnet den Eisenspan. Zukunft gibt es nur vom Horizont her. Und in jedem Horizont stoßen ein ,Gebot‘ an mich und mein ,Arbeits-Gebiet‘ zusammen. Meine Künftigkeit besteht aus meinem Berufe und meinen Aufgaben in diesem Beruf. Die Berufung vernehme ich; die Aufgaben bestimme ich. Horizont der Zukunft ist also die Stelle, an der der Hörer eines Gebots und der Sprecher des damit verliehenen Gebiets in mir einander durchdringen. … Gemeint ist aber eben diese Schnittstelle, wo ich das, was der Geist der Zeit allen anbietet, als persönlichen Anruf auf mich beziehe und mir im Rahmen dieses Anrufs von nun an meine eigene Aufgabe stelle. … Zukunft ist mithin nicht eine Dimension! Ohne den Übergang eines überlegenen Gebotes in die unterliegende Wirklichkeit dadurch, daß eine Person erst hört und dann verfügt, gibt es keine Zukunft. Die Naturbegriffe über die Zeit haben diese unbedingte Polarität der ‚Zukunft‘ verschüttet. Aber Zukunft ist ein dreidimensionaler Begriff mit Dir als Vereinigungspunkt von Vernunft und Anordnung, von Hören und Befehlen, von Gebot und Gebiet.“*
* Eugen Rosenstock-Huessy, Im Kreuz der Wirklichkeit. Eine nach-goethische Soziologie, Bd. 3, 259f.