Alternativlos

Die tiefe Verwunderung des New Yorker Kollegen über deutsche Hauptstadt-Journalisten, die die Bundeskanzlerin allesamt aufs Heftigste kritisieren – ideenlos, emotionslos, humorlos – und sie gleichwohl ausnahmslos gewählt haben, verdichtet seine feinsinnigen Beobachtungen zur Regierungsära von Angela Merkel in ein starkes Gefühl: Sie ist die wahre Kanzlerin der Einheit, weil sie es geschafft hat, jeden Gegenpol zu ihr überflüssig zu machen, indem sie ihn mit dialektischem Geschick aufnimmt und aufhebt. Galt ihr Vorgänger noch als talentierter Kanzlerdarsteller, ist sie der Inbegriff eines politischen Mediums, das für sich nichts ist und daher alles zu repräsentieren vermag, jene „Mutti“, die mit weit ausgebreiteten Armen links wie rechts Stimmen einsammelt. Anstelle der früheren Einheitspartei in der DDR hat sich als Erfolgsmodell die Einheitspolitik der ostdeutschen Kabinettschefin durchgesetzt, in der ihr Lieblingswort „alternativlos“ seinen imperativen Charakter verloren hat. Frei von jedem Anspruch ist es nur noch eine nüchterne Feststellung. Die moderne Diktatur zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich alle Jahre demokratisch ehrlich legitimieren lässt, ohne fürchten zu müssen, es könnte schlecht ausgehen.