Blick in den Abgrund

Nichts ist gefährlicher als ein Mensch, dem die Todesangst abhanden gekommen ist. Er kann mit dem spielen, was seinen Mitgenossen noch letzter Ernst ist. Er droht, aber lässt sich nicht mehr schrecken; er zwingt, aber lässt sich selber nicht nötigen. Der Ausnahmefall einer Zivilgesellschaft, die sich mit Gewalttätern auseinandersetzen muss, denen das Gespür für die eigene Endlichkeit abhanden gekommen ist, wird deutlich in der Drastik ihrer Wortwahl. Sie spricht von Rache und Vernichtung und gebraucht das verächtliche Vokabular des Gegners, um dem Übermaß an Grausamkeit mit einem deutlichen Abscheu unmittelbar zu entsprechen. Nietzsche hat die zweite Gefährdung formuliert, die mit solcher Brutalität einhergeht: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“*

*Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, § 146