Kategorie: Allgemein

Alles gut

Oft ist nichts gut, wenn „Alles gut!“ ertönt. Seit einiger Zeit schon beherrscht das Allerweltswort unsere Gespräche, nicht nur in den heiklen Momenten eines drohenden Konflikts. „Alles gut“, ruft sich eine Gesellschaft zu, die der dauernden Nachforschungen müde geworden ist. Endlose Feedback-Schleifen, Kundenbefragungen allenthalben, Evaluationen oder Qualitätsstudien, die wieder und wieder nach scheingenauer Bewertung suchen, sie alle provozieren am Ende die verlogene Vorstellung einer heilen Welt. Aus schlichter Lustlosigkeit, eine Antwort zu differenzieren, erwidern wir, was ehedem die Floskel „Frag nicht“ entwaffnend offen enthielt – und bitten, in Ruhe gelassen zu werden. Vielleicht ist das die Wahrheit des sogenannten positiven Denkens: dass es sich die Sache so lange zurechtlegt, bis sie keine Mühe mehr macht.

Empfindlicher Egoist

Er ist allergisch gegen alles, reagiert aber auf nichts.

A und O

Aller Anfang ist schwer? Nicht der gedankenlose. Da gilt, dass eine Sache meist leichter begonnen wird, als sie zu beenden ist.

Guter Nachsatz

Abschiede haben die unheimliche Kraft, alles in Frage zu stellen, was einmal fraglos gewesen ist. Also, auch wenn nur wieder ein Jahr sich dem Ende zuneigt: Vorsicht vor Nachsätzen und Nachsicht mit Vorsätzen.

Fabio Mauri auf der documenta 13

Fabio Mauri auf der documenta 13

Durch die Blume gesprochen

Das Gegenteil von schön? Allzu oft: fromm. Kaum eine Kirche, in der der Zierrat des Volksglaubens die klare Architektur ihres geistigen Raums nicht störte, manchmal zerstörte. In der Rangliste ästhetischer Ärgernisse ganz oben: der andächtig dekorierte Blumenschmuck im Altarraum.

Besuch im Kanzleramt

Hoffnung für die deutsche Politik? Der amerikanische Geheimdienst vermutet, dass hinter den floskelhaften Verlautbarungen der Regierung doch mehr stecken könnte und hat einen Trojaner ins Kanzleramt geschleust, um Genaueres zu ermitteln. Leider wurde der entdeckt, so dass wir wieder nicht erfahren, was das beschlossene, umfassende Maßnahmenbündel wirklich enthält, wenn man es aufschnürt.

Begrifflos glücklich

Wozu eine Philosophie taugt, lässt sich am besten ermitteln, wenn man sie nach dem befragt, was die Sprache einsilbig werden lässt: überwältigende Schönheit. Hegel zum Naturschönen: „Die harte Rinde der Natur und gewöhnlichen Welt machen es dem Geiste saurer, zur Idee durchzudringen, als die Werke der Kunst.“* Oder doch lieber Kant: „Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.“** IMG_1269

* Vorlesungen über die Ästhetik, Werke 13, 23
** Kritik der Urteilskraft, B 32

 

Entzauberung

Der neue Saugroboter, zum ersten Mal im Einsatz, macht sich gleich gründlich an die Arbeit und befreit den Boden nicht nur von den Restkrümeln des Festmahls. Er verrät auch, was im Zeitalter kybernetischer Haushaltsführung sonst noch keinen Platz haben soll. Angetrieben vom Eifer eines vollgeladenen Akkus holt er mit seinen rotierenden Fangbürsten das Jesuskind aus der Krippe, treibt es für einen Moment vor sich her und will es dann gefräßig in seinem Bauch verschwinden lassen. Doch die Figur ist zu sperrig. Die Maschine hängt sich auf. Drum merke: Auch in einer Welt selbstgesteuerter Automaten gehören die alten Geschichten noch lange nicht zum Kehricht der Mythologie.

Ich möchte gern dein Freund nicht sein

Man sollte der oft kollegialen Versuchung widerstehen, jemanden privat kennenzulernen, den man im öffentlichen Raum sehr schätzt. Umgekehrt ist es allemal besser.

Und das Wort ward Fleisch

Heilige Lenden? Heiligenlegenden

Heile Lenden? Heiligenlegenden

Die Nachricht vom Vorrecht

Weihnachten, formal: Im Akt der Gnade ist die wichtigste Institution, der Menschen sich unterwerfen, – das Recht – aufgehoben. Das bedeutet allerdings nicht, dass durch diesen außerordentlichen Gunsterweis das Gesetz außer Kraft gesetzt ist. „Aufgehoben“ meint zunächst: Jener gesellschaftliche Rahmen, auf den sich jedes Urteil zu beziehen hat, das die Anerkennung aller verlangt, verzichtet im Einzelfall darauf, das letzte Wort zu haben, ohne fürchten zu müssen, dass er sich selbst so ganz und gar suspendierte. Das Recht ist Recht, solange es nicht totalitär wirkt. „Aufgehoben“ heißt zudem, dass sich das Gesetz in der Gnade allererst erfüllt. Es ist in ihr bewahrt, weil es sich im Ganzen aus ihr herleitet. Das Recht stimmt die Menschen gnädig und ist ihnen gnädig, die ohne es sich in einem Kreislauf aus Untat und Rache derart verstrickten, dass ihr Zusammenleben in einer Gemeinschaft unmöglich wäre. „Aufgehoben“ versteht letztlich die Gnade selber als einen Rechtsakt sondergleichen, ihren höchsten, in dem das Gesetz an die Grenze seiner eigenen Möglichkeit gerät, dies aber als seine vornehmste Aufgabe ansieht. Jedes Urteil qualifiziert die Tat und den Täter eindeutig, im Wissen, dass Tat und Täter nicht in dem aufgehen, was sich über sie sagen ließ. Gnade ist die Anerkenntnis des Rechts, dass es auch ganz anders sein könnte, obwohl es so und nicht anders ermittelt und so und nur so interpretiert wurde.

Jauchzet, frohlocket

Oh, Gott kommt. (Ausruf der Engel, mit dem sie den überraschenden Besuch des Weltenerlösers ankündigen)

Oh Gott. Kommt. (Ausruf der Verwandten nach der Ankündigung des überraschenden Besuchs)

Begrüßungsgeld

Die schönsten Geschenke sind diskret: Sie verraten nicht, von wem sie stammen. – Udo Jürgens hat erzählt, dass er am Tag des Mauerfalls in Berlin gewesen sei. Überwältigt wie so viele von diesem welthistorischen Augenblick, die wildfremden Menschen um den Hals fielen, nahm er fünftausend Mark und steckte sie, portioniert in Hunderter-Scheinen, heimlich den Erstbesuchern aus dem Osten in die Taschen. Auch dazu gehört Talent: zur rechten Zeit am rechten Ort recht zu handeln.

Wunschzettel

„Friede auf Erden“ – jener weihnachtliche Wunsch ist meist nicht mehr als das Los der Erschöpften. Zu anderem sind sie gar nicht mehr fähig, die in den Wochen zuvor turbulent das Jahresendgeschäft erledigt haben und von ihm erledigt wurden. So mancher große Friedensschluss ist das Resultat – weniger von Einsicht als – von Ermattung.

Das verlassene Schiff

Gert Scobel zitiert aus den „Tagesrationen“ in „Kulturzeit“ das Kapitel über das Machtvakuum: „Die Ratten versenken das verlassene Schiff.“ (Zum Anschauen auf das Bild klicken.)

Kulturzeit

Kulturzeit, Sendung vom 19. Dezember 2014, Copyright 3sat

 

 

Arbeitsalltag

Das Prinzip moderner Unternehmensführung: Kreativität und Controlling. Die Überraschung wird zum Planungsziel, und jede gute Idee buhlt so lang um ein Budget, bis allen klar ist, dass nicht lohnt, sie zu verwirklichen.

Freudscher Versprecher

Woher weißt du das? durchfährt einen manchmal die besorgte Frage, wenn man sich bei einer Fehlleistung ertappt, einem ungewollten Versprecher, einem nicht beabsichtigten Verhalten, und sich nun für einen ehrlichen Augenblick ohne Fassade im Leben bewähren muss. Plötzlich ist klar, was wirklich antreibt. Wer verrät die versteckten Motive? Freud hat ihnen unbewusste Beweggründe zugeordnet, welche die Zensur des anständigen Ich überlisten. Selten ist der Mensch sich selber näher. Da macht stutzig, dass jetzt schon das Smartphone zum Medium solcher Entlarvungen wird. Widerwillig tippt man eine Nachricht, um einen lang aufgeschobenen, unangenehmen Gesprächstermin zu vereinbaren. Und sendet. Das nochmals durchgelesene Protokoll auf dem Bildschirm gibt wieder, was man wirklich gedacht hat. Die Autokorrektur hat die Selbstzensur ausgetrickst: „Wollen wir telephobieren?“

Nicht recht, aber gerecht?

Ausgleichende Gerechtigkeit ist eine niedere Vorstellung. Sie ist meist darauf beschränkt, dass dem einen Unrecht ein zweites hinzugefügt wird.

Alles eine Frage der Definition

Am späten Abend, nach einem intensiven Gespräch über den unterschiedlichen Gebrauch von Wörtern, erzählt der Freund jene Anekdote über den Definitions-Wettbewerb, die sich in England zugetragen haben soll: Die Aufgabe war, den Unterschied zu bestimmen zwischen „complete“ und „finished“, wo doch etliche meinten, es gebe da keinen. Als Preis sei angeblich ein Abendessen mit der Queen ausgelobt gewesen. Viele Vorschläge wurden eingereicht, doch ein Beitrag überragte alle. Die Differenz sei ganz einfach, heißt es da. „When you marry the right woman, you are complete. But, when you marry the wrong woman, you are finished. And when the right one catches you with the wrong one, you are completely finished.“ Manchmal sind Geschichten die besseren Definitionen. Und manchmal erledigen sich Bestimmungen durch das, was man erlebt.

Kippfigur

Öfter als einem lieb ist, entsteht das Chaos erst, wenn man versucht, Ordnung zu schaffen.

Die Grenzen meiner Sprache

Menschen „funktionieren“ am besten, wenn sie nicht nur funktionieren sollen. – Aus meinem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ Heft 51/2014: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meines Erfolgs“.

IMG_3382

Versteckte Botschaft

Das Ungesagte präzisiert das Gesagte.

Ehrliche Arbeit

Gegenwartskunst: zu wahr, um schön zu sein.

Präsidentschaftskandidat

„Warum ist der nicht längst Präsident von irgendwas?“ fragt der Kollege nach der Lektüre eines Bewerbungsschreibens. Der Lebenslauf ist voll der allerbesten Adressen. „Weil man mit solchen Voraussetzungen alles werden kann, nur nicht Präsident.“