Das größte Geschenk

Nicht einmal geschenkt nähme er das, so lehnt der Nachbar an der Ladentheke das wohlmeinende Angebot des Verkäufers missgelaunt ab. Der vorweihnachtliche Gang durch die überfüllte Stadt offenbart unwillkürlich manche Wahrheit über das, was wir für wert erachten. Immer seltener ist es die Tatsache, dass wir etwas unverdient erhalten. Was „umsonst“, also jenseits des Üblichen gegeben wird, hat leicht den Ruch, nicht nur nicht bezahlt zu sein, sondern auch vergeblich offeriert. Der Wert eines Geschenks liegt kaum noch darin, dass es sich um eine Geste der Freiwilligkeit handelt, sondern wird gemessen am geschätzten Preis. „Geschenkt!“ heißt es oft abschätzig in Situationen, da der eine dem anderen schuldet, was dieser nicht weiter besprechen will. Wie aus einer anderen Zeit erscheint da die Frage, ob das Etikett entfernt werden solle, bevor man die Sache ins buntbedruckte Papier einwickelt. Marcel Mauss beschreibt in seinen Studien über die Formen des Austauschs in archaischen Gesellschaften das, was er „Institutionen der totalen Leistung“ nennt*: die Pflicht zur Annahme und Erwiderung von Geschenken. In diesen Systemen von Übergabe und Rückgabe, die sich bis heute finden lassen in frühen Kulturen, stabilisieren sich Gesellschaften durch feste Regeln zwischen den Stämmen, die über den Gabenritus einander mitteilen, dass alles kommt und geht. Weihnachten, so alt dieses Fest schon ist, durchbricht den obligaten Geschenkekreislauf. Es gibt nichts, was wir als Leistung entgegensetzen können. Das Geschenk ist zu groß, die Geste überreich: Gott kommt, ohne dass er wieder gehen muss.

*Marcel Mauss, Die Gabe, 36