Gartengeometrie

Die scharf geschnittenen Hecken in Nachbars Garten, so präzise, als sei an die Kanten das Lineal angelegt worden, und der Kiesweg, in den nicht ein einziger Grashalm hineinwuchern darf, sie sind Zwangszeugen eines tiefsitzenden Misstrauens gegen die Launenhaftigkeit des Lebens. Natur ist hier zum Synonym geworden für Chaos, der Mensch, dessen Pflicht, sie sich „untertan“ zu machen, interpretiert ist im Dauereinsatz der Rasen-, Baum und Staudenscheren, befindet sich im zehrenden Kampf mit ihr: hier das Schicksal, dort sein strenger Planungswille, der das Unvorhersehbare nur bezwingen kann durch das unausgesetzte Anlegen des Werkzeugs. Nichts ist entspannt in diesem Wunderwerk gepflanzter Geometrie. Aber in der symmetrischen Form lauert schon die nächste Attacke der Natur, die das Ordnungsbestreben immer wieder listig unterläuft. Jedes Wachstum kündet letztlich vom Triumph des Unkontrollierbaren.