Hausmitteilung

IMG_3248

In Stein gemeißelt sind meist jene Worte, denen zugemutet und zugetraut wird, länger zu gelten als nur im Augenblick. Von den zehn Geboten über Portalsprüche auf Gymnasienwänden bis zu den gerade abgesegneten Unternehmenswerten, die ihren Platz finden im Foyer, dient der harte Grund als Medium, das Beständigkeit vermitteln soll. So betrachtet fällt der Satz auf dem Putz eines Hauses im Frankfurter Holzhausenviertel schon durch einen dezenten performativen Widerspruch auf: Soll derart wuchtig gelten, was bloß die geringste Form von Geltung sein kann: „Wahr ist nur, dass wir nicht wissen, was wir nicht wissen“ – ? Ein schwacher Begriff von Wahrheit wird in einer starken Fassung festgehalten. Inhalt und Darstellung der Botschaft passen nicht zueinander. Oder doch? Das entscheidende Wort „nur“ bezeichnet nicht das Wenige, dem die Frage entgegensteht: „Mehr nicht?“, sondern will heißen: „nichts als …“, dem die Behauptung entspricht: „Mehr geht nicht.“ Die höchste Form von Wahrheit ist, dass wir nicht wissen, was wir nicht wissen.* Also ein Achselzucken: Was weiß ich?! Nichts Genaues offenbar. Dem platonischen Sokrates wird fälschlicherweise zugeschrieben, dass er wisse, nichts zu wissen. Gesagt hat er es nie. Die geläufige Redewendung verdankt sich aber einem längeren Passus aus der „Apologie“. Dort erläutert der angeklagte Philosoph einen Orakelspruch. Ihm, erzählt er, sei zu Ohren gekommen, dass die Pythia ihn für den weisesten Menschen halte. Weisheit, so Sokrates, sei aber eine bestimmte Einsicht in die Begrenzung des eigenen Wissens, und eben nicht dessen Fülle. „Dieser meint irgendetwas zu wissen, obwohl er es nicht weiß, aber ich, wie ich es nun nicht weiß, glaube es auch nicht.“ Warum eigentlich macht man um den Satz: Ich weiß, dass ich nicht weiß, so großes Aufhebens? Viel interessanter ist doch der Ausdruck, der nicht auf die Hausfront gedruckt ist, aber als gegenteilige Variante der Fassadenbotschaft die Bewegungsstruktur des Denkens auszeichnet: Ich weiß, was ich nicht weiß. Denn er stellt die Formel auf, die als Form einer Frage zu gelten hat. Nur wer bestimmt darüber reden kann, was ihm bisher unbestimmt geblieben ist, findet das Maß an Neugier, das ihn weiterbringt. Nur wer über dieses Wissen verfügt, kann in der Welt suchen und forschen und erhält vielleicht am Ende auch Antworten: Wer wohnt in dem Haus? Woher kommt das Wort? Was soll es bedeuten? Warum steht es an so prominenter Stelle? – Wissen, was wir nicht wissen.

*Vom Frankfurter Th. W. Adorno ein Monogramm: „Wahr sind nur die Gedanken, die sich selber nicht verstehen.“ (Minima Moralia, 254)