Konkurrenzkampf

Als „ganz oberflächlich“ bezeichnet der Soziologe Georg Simmel die übliche Auffassung, es seien vor allem jene Gestaltungs- und Erhaltungskräfte des Menschen wie die Liebe, die Gunst oder die Harmonie, die einer Gesellschaft erst ihre inneren Bindungen verschafft, so dass sie sich entwickeln und überleben kann. Der Meister der Polarität entdeckt, dass die repulsiven, die abstoßenden und widerständigen Energien genauso wichtig sind, um einer Gemeinschaft Form zu geben. Konkurrenz, Disharmonie und Missgunst repräsentieren die negativen, aber eben notwendigen Eigenschaften des menschlichen Miteinanders. So steht es in einem kleinen Aufsatz von 1903: Der Konkurrenz gar „gelingt unzählige Male, was sonst nur der Liebe gelingt: das Ausspähen der innersten Wünsche eines anderen, bevor sie ihm noch selbst bewusst geworden sind“*. Es ist wohltuend, über jene Charakterzüge, die sonst von den Gutwilligen und Besonnenen sofort disqualifiziert werden, einmal Kluges zu lesen, ohne dass es gleich moralisch wird.

*Georg Simmel, Soziologie der Konkurrenz, Gesamtausgabe Bd. 7, 227.