Letzte Instanzen

In der Bergpredigt, der radikalsten Rede unter allen Reden des Testaments, findet sich ein Wort von äußerster Konsequenz. Mit Blick auf jene, denen er Verantwortung zumutet und zutraut, sagt der souveräne Ausleger überlieferter Lebensregeln, Jesus, der noch in jedem Gebot die Pointe verschärft: „Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze.“ Mit Dummheit übersetzt Luther jene Eigenschaft, die darauf zielt, alle unterscheidenden Eigenschaften zu vernichten: den Geschmack, die Individualität, die Aufgabe. Dumm heißt, was zu nichts taugt, weil es sich selbst aufgegeben hat. Im Ganzen ist das ein Satz über das Risiko jeder letzten Instanz. Wenn die nicht mehr funktioniert, ist alles verloren. Das ist die kränkelnde Blässe eines Staats, der nicht mehr politisch handelt, sondern zum Verwaltungsapparat für Umverteilung degeneriert ist. Das ist das Hohle einer Kirche, die selber kaum für glaubwürdig zu halten ist. Das ist die schmerzhafte Erinnerung an einen Charakter nach dessen déformation professionelle. In einer Zeit, in der vorletzte Instanzen wie die Bankenwirtschaft, die Ernährungsindustrie, der Kunstmarkt über wiederkehrende Skandale sich selbst untergraben, käme alles darauf an, dass letzte Instanzen verstehen, was sie auszeichnet: die Selbstverständlichkeit ihrer Geltung. Doch wer heilt das Recht, wenn es vom Gesetzgeber nicht mehr ernstgenommen wird? In der Welt des Handelns übernimmt die Institution die Rolle zu entlasten. Was aber, wenn das Entlastende selber zur Belastung wird? Nur über die Anerkennung als Einrichtung von schönster Selbstverständlichkeit kann eine letzte Instanz ihre Aufgabe leistungsfähig übernehmen. Institutionen leben davon, dass sie sich zeigen, aber nicht unausgesetzt durchsetzen müssen. Und sie gefährden sich selbst, wenn sie ihre Genügsamkeit in der Andeutung verlieren, weil sie dauernd auf die Probe gestellt werden und mit Überregulierung oder Überforderung reagieren, statt Recht und Moral zu repräsentieren. Der Kernsatz einer Institution lautet: Nimm dich nicht wichtig. Denn im Zusammenleben gilt, dass die Brüchigkeit des Selbstverständlichen nicht der Anfang vom Ende ist, sondern das Ende selbst.