Nur nicht schrecken lassen

Unbeirrt kann handeln, wem die Trennung von Empfindlichkeit und Empfindsamkeit gelungen ist. Nichts muss ihn treffen, auch wenn er fähig bleibt, es jederzeit mit feinem Gespür wahrzunehmen. Das macht es Gegnern seiner Pläne schwer. Gewöhnlich erreicht er sein Ziel, weil er sich kaum noch beeindrucken lässt. Es ist eine der ersten Aufgaben des strategischen Handelns, bei sich zu prüfen, womit ein anderer erfolgreich drohen könnte. Im Maße, wie selbst Letztes nicht mehr schreckt, den Drohenden mehr kostet als den Bedrohten, sind Ziele erreichbar. Sekten, Ideologien, religiöser Wahn machen sich die Differenz zwischen Empfindlichkeit und Empfindsamkeit zunutze, um ihre meist üblen Absichten ungestört zu verfolgen. Die Abgestumpftheit hier erreichen sie mit nervösester Erregung dort. Terror kann nur ausüben, wer den Tod nicht fürchtet, ja herbeisehnt. Der brutale Gewalttäter lässt sich von seiner Lust an ungehemmter Körperverletzung selbst nicht abbringen, wenn er dabei durch Videokameras beobachtet wird und zuverlässig damit rechnen muss, für lange Zeit eingesperrt zu werden. Dem skrupellosen Söldner macht es nichts aus, überrumpelt zu werden, wenn er sich zuvor nur daran laben konnte, wie er der Weltgemeinschaft deren Ohnmacht vor Augen führt. Und eine „Sicherheits-Junta“ (Peter Weibel auf der re:publika 2014 über die NSA) schaltet Überraschungen dieser Art systematisch aus, indem sie durch flächendeckende Überwachung ohnehin weiß, was gedroht wird und wie groß die Bereitschaft der Drohenden ist, sich beim Wort nehmen zu lassen. Da kann sie sich in eigener Sache sogar wieder äußerste Empfindlichkeit leisten, hat sie doch die „Empfindsamkeit“ an die technische Empfindlichkeit von Apparaten delegiert. Die Welt hat kein anderes Mittel gegen Gleichgültigkeit, als darum unausgesetzt zu kämpfen, dass solche Unterschiede wie die zwischen Empfindlichkeit und Empfindsamkeit erkannt, gewahrt und geachtet werden.