Tabula rasa

Jene, die an ein Tabu rühren, um die Belastbarkeit ungeschriebener Gesetze zu prüfen, sei es aus Lust an der Provokation oder in bester aufklärerischer Absicht, verkennen, dass das, was sie für eine Schwäche halten, das Ungeschriebene und Ungesagte, die Stärke dieser Prinzipien ausmacht. Einmal in Worte gefasst, verliert das Normengeflecht seine regulierende Kraft; expliziert wirkt es banal, allzu selbstverständlich, und muss erfahren, wie gerade der Versuch, es in genaue Formen zu bringen, ihm die Selbstverständlichkeit geraubt hat. Da bleibt nichts als die schwache Erinnerung an einen Zauber. Aus dem Tabu ist eine tabula rasa geworden, nur dass nichts auf ihr je gestanden hatte, sie aber jetzt der Ort ist für alles mögliche. Der Satz, man müsse es doch wenigstens einmal sagen dürfen, lässt nicht nur offen, ob es „es“ ist, was ausgesprochen wird. Er tarnt seine Naivität als Unschuld.