Verguckt oder verliebt

Aus dem Muscle Shirt quillt der tätowierte Bizeps in seiner vollen Pracht. Hier sind alle Klischees erfüllt, denkt der Mitreisende im Zugabteil, als er den hünenhaften Körper betrachtet, einen Zwanzigjährigen, bemalt mit krawalligen Symbolen, Namen und Geschichten. Da fällt der Blick auf die große Sporttasche, und er liest verwundert: „Amour“, in weißen Lettern auf nachtblauem Grund. Ein bekennender Romantiker? Der Fehler klärt sich schnell auf. Als der Muskelberg die Bahn verlässt und sein Gepäck ergreift, ist nun auch der Rest der Buchstaben zu erkennen. Was der Sitznachbar flüchtig als Liebe verklärt hat, heißt vollständig „Under Armour“ und ist eine Trendmarke für Sportklamotten. Der dekorierte Athlet muss die Irritation bemerkt haben. Kurz bevor sich die Tür schließt, schaut er noch einmal zurück und sagt grinsend: „Waffenscheinfrei“. Und der Zurückgebliebene fragt sich, ob der kleine Unterschied eines überlesenen „r“ die Wahrheit der großen Gefühle freigelegt hat: Sie sind lebensgefährlich.