Vor-Recht

Der juristische Grundsatz culpa in contrahendo, nach dem es eine einklagbare Verpflichtung schon vor einem Vertragsabschluss gibt, berührt das Verhältnis von Recht und Moral. Zwei Verhandlungsgegner, die aushandeln und feilschen, ob sie verbindlich Partner werden wollen, können das nur, wenn es eine Art Vertrauensschutz in dieser noch fragilen, weil nicht festgeschriebenen Beziehung gibt. Zu einem Kontrakt kommt es unter der Annahme, dass es dem anderen mit seinen Absichten ernst ist. Erst dann ist einer bereit, seine Zeit einzusetzen, Kosten auf sich zu nehmen, im vorhinein zu investieren. Es gibt also Schuldrelationen, die nicht vertraglich begründet sind, sondern als Voraussetzung einer rechtlichen Übereinkunft gelten. Das Recht stärkt im Prinzip culpa in contrahendo sich selbst, in dem es dort ansetzt, wo es nicht wirklich greift. In der Behandlung der Interessenten untereinander, als ob sie Vertragspartner wären, werden allererst die Bedingungen geschaffen dafür, dass sie es werden können. Jeder Vertrag will das persönliche Vertrauen überflüssig machen, indem er formalisiert, was sich sonst auf Anstand, Haltung oder Ehre berufen müsste. Und basiert doch elementar auf ihm. Das auch gesetzlich anzuerkennen, klärt das Recht über sich selbst auf: Es ist strafbewehrt, wenn man mit dem vorsätzlich spielt, was das Recht allererst möglich macht.