Wem Gesang gegeben

„Zugestiegen?“ Der Klang der Stimme dringt von hinten ins Abteil des lesenden Fahrgasts wie eine ferne Melodie. „Zuuu-“ (hier hebt sie an) „-ge“ (ein kurzes Intermezzo) „-stiiiegn“ (erst gedehnt, dann Abbruch). „Die Fahrkarten bitte.“ Der Zugbegleiter ist auf dem Kontrollgang und verschafft sich Aufmerksamkeit, indem er seine Aufforderung mit einem silbenbetonten Singsang unterlegt. Wie oft hat er das schon gesagt; er kann sich selber nicht mehr hören. Können es die Reiselustigen? Einer jedenfalls merkt auf: „So fröhlich heute.“ Man kennt sich flüchtig. Er ist Vielfahrer und zieht routiniert die Dauerkarte aus der Tasche. „Ja, wir streiken bald wieder.“ Dem Passagier, der auf die Bahn angewiesen ist wie auf das tägliche Brot, gefrieren die Gesichtszüge. „Und das macht Sie heiter? Denken Sie eigentlich auch an uns?“ „Seit mehr als dreißig Jahren. So lang bin ich schon auf der Strecke. Aber wenn wir uns nicht kümmern, geschieht nichts. Was glauben Sie, das wir alles aushalten müssen. Ich könnte Ihnen ein Lied davon singen.“ Der Kunde hat seinen Plauderton verloren. Schon wieder in sein Buch vergraben, grummelt er nur: „Vielleicht lernen Sie erst einmal, den Ton zu treffen.“