Wetterfühlig

Im Sommer 1816  trafen sich in der Villa Diodati am Genfer See der Dichter Lord Byron, der Schriftsteller Shelley, die Autorin Mary Godwin, die später Shelleys Frau wurde, und Polidori, der Begleiter Byrons. Es war ein ungewöhnlich kalter Juni, mit Nachtfrösten und langen nebligen, regnerischen Tagen. Das „Jahr ohne Sommer“, das auch als „Achtzehnhundertunderfroren“ bezeichnet wurde, war meteorologisch beeinflusst vom Ausbruch des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa in Indonesien, einer der größten bekannten Eruptionen in der neueren Menschheitsgeschichte. Erst hundert Jahre später konnte man die Wetterbedingungen und die ökonomischen Krisen in Europa den Folgen dieser Explosion zuordnen. Für die Bewohner des Hauses bedeutete das eine Zeit ohne Spaziergänge und Bootsausflüge. Sie beschlossen, Schauergeschichten zu schreiben und einander zur gepflegten Unterhaltung vorzulegen. So wurde der stress of weather zum Anlass für zwei der berühmtesten Texte der Weltliteratur, für Byrons Gedicht Darkness, der wohl ersten Vorstellung einer Weltklimakatastrophe, und für die Figur des Frankenstein.* Aber nicht nur das. Stillschweigend zeigte sich auch, wie wichtig die Vorstellungskraft und die ihr zugehörige Bildsprache sind, um große Desaster, zu denen der Klimawandel gewiss gehört, ins Bewusstsein zu holen. Ohne Erzählung, Poesie und Metaphorik lässt sich eine Weltbevölkerung nicht ansprechen in ihrem Veränderungswillen, auch wenn die wissenschaftlichen Fakten ganz und gar offenkundig wären. Aus Tatsachen entstammen die wenigsten Taten; Handeln ist die Domäne der Ideen.

* Eva Horn hat in ihrem Buch über die „Zukunft als Katastrophe“ diesen Sommer als Ausgangspunkt für die modernen Katastrophenfiktionen ausgemacht: vgl. S. 75.