Zwischen Verniedlichung und Zumutung

Die verniedlichende Folklore, es könne ein Krippenkind die Welt erlösen, wird nur noch überboten von der Zumutung, dies sei die Leistung eines Toten, der am Kreuz elendig erstickte. Was freilich beide Lebensphasen Jesu verbindet, ja sein gesamtes Wirken kennzeichnet, ist das Urteil, in allem sei er ein Unschuldiger. Das ist das wahre Wunder der Weihnacht, dass ein Mensch von Anfang bis zum Ende sich an nichts und niemandem vergangen, alles hingegeben und nichts vorbehalten hat. Die Geschichten, die über seinen Lebensbeginn erzählt werden, handeln – nicht vornehmlich von ritueller Reinheit, sondern – von einer Makellosigkeit, die der erste Theologe Paulus beschrieb als fundamentale Unkenntnis: Dieser Mensch ist der einzige, „der von keiner Sünde wusste“ (1. Kor. 5, 21), was nicht zu verwechseln ist mit moralischer Naivität. Das Böse ist ihm schlicht fremd. Wohingegen es uns im besten Fall als befremdlich erscheint. Es ist diese ungetrübte Unschuld, die in Bethlehems Stall genau so bestaunt wird, wie wir sie für jedes Neugeborene erhoffen und wünschen, es möge nicht allzu schnell mit der Härte der Realität konfrontiert werden und könne wohlbehütet aufwachsen. Nur dass diese Realitätshärte im Bericht vom neugeborenen Gottessohn dann gleich rücksichtslos mit Obdachlosigkeit und Unbehaustheit, Stallgestank und den Mordgelüsten eines orientalischen Potentaten zuschlägt. Die Unschuld Jesu, so die Erzählungen, muss sich in der Weltwirklichkeit als unkorrumpierbar erweisen, darf nicht von Trotz, Bitterkeit, Zynismus, Hass befallen werden. Sofern ihr das gelingt, bleibt eines ausgeschlossen: Ein solcher Mensch taugt nicht als Vorbild. Er ist der „ganz Andere“. Das aber ist die Eigenschaft Gottes, ganz und gar anders zu sein. Genau dies ist die Botschaft der Weihnachtsgeschichte: Gott kommt anders, und bleibt es. Eignet sich das, die Vorstellung zu nähren, so einer könne ein Erlöser sein? Wer sonst sollte es, wo doch selbst in dem Augenblick, da die Todesstrafe über diesen Menschen verhängt wurde, er nicht einmal da etwas für sich wollte, sondern sein unschuldiges Leben einsetzte für uns.