Kategorie: Allgemein

Noch ’ne letzte Runde …

… im Koalitionspoker: Manchem Anfang wohnt ein fauler Zauber inne.

Links wie rechts

Dem Erzbischof von Canterbury John Morton, im späten fünfzehnten Jahrhundert königlicher Berater von Heinrich VII., wird nachgesagt, Erfinder eines besonders üblen Dilemmas zu sein. Seine Methoden, der Krone durch Steuereinnahmen Reichtum zu verschaffen, sind berüchtigt. So verfügte er, dass Männer, deren Lebensstil luxuriös war und die offenkundig über viele Güter geboten, mit hohen Abgaben zu belegen seien und dass bei jenen anderen, die bescheiden lebten und daher sehr viel Geld sparten, ebenfalls ein außergewöhnlich ambitionierter Tribut gerechtfertigt sei. Seither nennt man jene Art des Denkens, in dem widersprüchliche Argumente zu derselben unangenehmen Folgerung führen, Mortons Gabel. Wenn die eine Zinke nicht sticht, schmerzt die andere.

Falsche Braut*

Keine Liebesheirat, sondern ein Zweckbündnis: So versichern die beiden künftigen Koalitionäre in Hessen allenthalben, dass die angestrebte schwarz-grüne Verbindung kaum auf übermäßiger Zuneigung beruht. Zum Glück. Noch immer hat sich Romantik in der Politik meist ideologisch ausgewirkt, so dass man bei so viel Vernunft auf das Beste hoffen darf.

*In Hessen ist die „Schwierige Heirat“ ein alter Hochzeitsbrauch. Dem künftigen Ehemann wurde früher vom Schwiegervater zunächst zweimal eine falsche Braut vorgeführt.

Heiße Tage

Woran man erkennt, dass der Winter angebrochen ist? Am feuchten Tropenklima in Bus und Bahn.

Was gehört wem, und wenn ja, wieviel?

Selten erschien die berühmte Formel vom „interesselosen Wohlgefallen“ so wahr wie jetzt, da durch den Zufallsfund der mehr als tausend Kunstwerke des Herrn Gurlitt eine Rechtssituation heraufbeschworen ist, die erkennbar kaum zu lösen sein wird. Immanuel Kant hatte mit der merkwürdigen Wendung den Umstand reflektiert, dass das ästhetische Urteil zwar subjektiven Empfindungen entspringt, aber einen Anspruch auf Allgemeinheit erhebt. Er befreite es von allem Begehren. So schwer es ist, sich Schönes vorzustellen, ohne dass sich mit ihm gleich allerlei Interessen verbinden, vor allem des Besitzes und der Bemächtigung, so verlockend ist der Gedanke, es – das Schöne – komme überhaupt erst zum Vorschein, wenn von all diesen Zugriffsabsichten abgesehen wird. In dem heraufziehenden Streit um das rechtmäßige Eigentum an Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus, der wegen der längst verstrichenen Verjährungsfristen moralisch geführt, aber so nicht zu befrieden ist, und der wegen der wohlbegründeten Empörung der Enteigneten juristisch nicht zu beenden sein wird, hilft nur der wechselseitige Verzicht auf die eigene Position. Es gibt keine Instanz, die zwischen Recht und Moral entscheiden könnte, ohne dass es willkürlich anmutete. Aber es gäbe die Gelegenheit – wenn alle ihre Ansprüche hintan stellten –, die Kunst zu befreien: so dass die Werke freigegeben werden könnten zur Ausstellung in einem eigens geschaffenen Raum. Durch solche Interesselosigkeit verwandelte sich deren Schönheit in ein Wohlgefallen für alle.

Gebildeter sterben

Elektrischer Stuhl aus dem Land der Dichter und Denker: Kurz vor der Hinrichtung durfte sich der Verurteilte statt einer Mahlzeit ein Henkersbuch wünschen. Was wäre Ihre letzte Lektüre?

Foyer, Literaturhaus Frankfurt

Foyer Literaturhaus Frankfurt

Tierisch glücklich

Zwischen Volkstrauertag und Totensonntag hat das erste Fernsehprogramm leicht deplatziert eine Themenwoche über das Glück gezwängt. Da wird es nun gemessen und gewogen und definiert. Dabei ist es mit ihm ganz einfach. Noch immer hat Nietzsche die treffendste Beschreibung des Glücks gefunden, mit einer Fabel über dessen gnädige Unbestimmtheit: „Der Mensch fragt wohl einmal das Tier: warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an? Das Tier will auch antworten und sagen: das kommt daher, daß ich immer gleich vergesse, was ich sagen wollte – da vergaß es aber auch schon diese Antwort und schwieg: so daß der Mensch sich darob verwunderte.“ (Unzeitgemäße Betrachtungen 2: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, 1)

Schnipsel

Neben der Frisur wird hier auch noch die Gesinnung in Form gebracht. Kann es klugen Köpfen gleich sein, dass es nicht darauf ankommt, ob sie als schöne Köpfe den Laden verlassen?

Frisiersalon, Düsseldorf Medienhafen

Frisiersalon, Düsseldorf Medienhafen

 

Downgrade in die Freundschaft

Der Liebeskummer beruht auf einem unmöglichen Satz: Wenn ich dich schon nicht gewinnen kann, will ich dich wenigstens nicht verlieren.

Sonntagsgedankenausflug

Der trinitarische Gottesbegriff, quantorenlogisch dargestellt:
Als der eine für alle (Sohn)
will der Eine in allem (Vater),
dass in ihm alle eins (Geist) werden.

Waffenarsenal

Scharfzüngig erledigt er, was er mit seinen spitzen Ellenbogen nicht aus dem Weg räumen konnte.

Früher war mehr Lametta

Vor lauter Vorfreude auf den Weihnachtsmarkt möchte man am liebsten Bäume ausreißen.

Adventsstimmung in Essen

Adventsstimmung in Essen

Digitaler Flirt

Moderne Missbilligung: mit den Augen scrollen.

Alles endet moralisch

Nur wenige von denen, die noch den Autor Protagoras kennen, werden wissen, dass sein berühmtester Satz nicht bedeutet, der Mensch sei das Maß aller Dinge. So hat es uns später Platon erklären wollen, in seinem hartnäckigen Kampf gegen die Sophisten, den wahrscheinlich modernsten Figuren der Antike. Das alte Wort spricht vielmehr vorsichtig weltoptimistisch davon, dass es der Dinge Eigenschaft oder Quantum ist, menschlich zu sein. Welche Wirklichkeitszuversicht, Erkenntnislust, Zweifelsfreiheit. So geschieht es vielen überlieferten Formeln, dass sie, die einst unbedarft Lebensfreude ausdrückten, mit der Zeit als moralischer Imperativ enden.

Crescendo, aber nicht zu laut

Beethoven: Wenn man glaubt, jetzt sei es am schönsten, wird es noch schöner.

Der Ehrliche ist der Unhöfliche

Dass die Frage nach dem Befinden meist nur ein belangloses „Bestens. Und selbst?“ erntet, hat wenig mit dem Unwillen zu tun, ernsthaft zu antworten. Erkenntnistheoretisch aufgeklärt und psychoanalytisch enttäuscht wissen wir, dass wir nicht wissen können, wie es uns geht. Und wenn wir es wüssten, das dem anderen nun wirklich nicht zumutbar wäre. Jenseits eingespielter Rituale ein ehrlicher Ausweg:
„Hoffe, dir geht es gut.“
„Das hoffe ich auch.“

Och nö

Wenig ist enervierender, als einem „positiv denkenden“ Menschen eine Ablehnung zu entlocken. Wo das Ja zur freundlichen Ideologie geworden ist, kann man es schon deswegen nicht ernstnehmen, weil auch das Nein nur als zustimmende Begeisterung formuliert wird.

Das Heilige und die Gewalt

Während in Genf die Außenminister der UN-Vetomächte über das iranische Atomprogramm verhandeln, kommt aus Texas die Nachricht, dass es gelungen ist, eine bestens funktionierende Pistole aus Metallstaub über einen Laser-Drucker herzustellen. Die Vorlage, hundert Jahre alt, ist frei verfügbar. Im beginnenden Zeitalter des Zugangs (Jeremy Rifkins, The age of access) stehen nicht nur die Inhalte allen zur Verfügung. Ob die Verteidiger des Herrschaftswissens, die in ihre letzten, verzweifelten Gefechte gehen (gegen Wikileaks, Edward Snowden, Google Books oder die jungen Atommächte), ahnen, dass eine Welt, in der es keine Exklusivität gibt, sich mit sich selbst überfordert? Sie mögen nur die Gefahr sehen, die entsteht, wenn in viele Hände gerät, was schon in wenigen bedrohlich genug ist. Doch die Gefärdung reicht weiter, weil sowohl Macht wie auch Freiheit ohne Asyle, ohne einen Informationsvorsprung, ohne das geschützte diplomatische Geheimnis, ohne unfragliche Unzugänglichkeiten nicht möglich sind, also auf denselben Bedingungen fußen. Wer löst diesen Zwiespalt? Einst nannte man solche undurchschaubaren Refugien das „Heilige“. Sie waren gleichermaßen unheimlich und unentbehrlich.

Letzte Instanzen

In der Bergpredigt, der radikalsten Rede unter allen Reden des Testaments, findet sich ein Wort von äußerster Konsequenz. Mit Blick auf jene, denen er Verantwortung zumutet und zutraut, sagt der souveräne Ausleger überlieferter Lebensregeln, Jesus, der noch in jedem Gebot die Pointe verschärft: „Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze.“ Mit Dummheit übersetzt Luther jene Eigenschaft, die darauf zielt, alle unterscheidenden Eigenschaften zu vernichten: den Geschmack, die Individualität, die Aufgabe. Dumm heißt, was zu nichts taugt, weil es sich selbst aufgegeben hat. Im Ganzen ist das ein Satz über das Risiko jeder letzten Instanz. Wenn die nicht mehr funktioniert, ist alles verloren. Das ist die kränkelnde Blässe eines Staats, der nicht mehr politisch handelt, sondern zum Verwaltungsapparat für Umverteilung degeneriert ist. Das ist das Hohle einer Kirche, die selber kaum für glaubwürdig zu halten ist. Das ist die schmerzhafte Erinnerung an einen Charakter nach dessen déformation professionelle. In einer Zeit, in der vorletzte Instanzen wie die Bankenwirtschaft, die Ernährungsindustrie, der Kunstmarkt über wiederkehrende Skandale sich selbst untergraben, käme alles darauf an, dass letzte Instanzen verstehen, was sie auszeichnet: die Selbstverständlichkeit ihrer Geltung. Doch wer heilt das Recht, wenn es vom Gesetzgeber nicht mehr ernstgenommen wird? In der Welt des Handelns übernimmt die Institution die Rolle zu entlasten. Was aber, wenn das Entlastende selber zur Belastung wird? Nur über die Anerkennung als Einrichtung von schönster Selbstverständlichkeit kann eine letzte Instanz ihre Aufgabe leistungsfähig übernehmen. Institutionen leben davon, dass sie sich zeigen, aber nicht unausgesetzt durchsetzen müssen. Und sie gefährden sich selbst, wenn sie ihre Genügsamkeit in der Andeutung verlieren, weil sie dauernd auf die Probe gestellt werden und mit Überregulierung oder Überforderung reagieren, statt Recht und Moral zu repräsentieren. Der Kernsatz einer Institution lautet: Nimm dich nicht wichtig. Denn im Zusammenleben gilt, dass die Brüchigkeit des Selbstverständlichen nicht der Anfang vom Ende ist, sondern das Ende selbst.

Wortfeld

Schreiben bedeutet: um seine Gedanken einen Zaun ziehen.

Bauzaun, gegenüber dem Haus des Buches in Frankfurt

Bauzaun, gegenüber dem Haus des Buches in Frankfurt

Pyrrhussieg

Die Wirtschaft macht es dem Fußball vor, wie man den Titel holt, obwohl es in der Abwehr nicht stimmt: Deutschland ist wieder Export-Weltmeister. Man siegt hoch gegen schwächere Gegner wie Frankreich, Italien, Griechenland und Spanien (69 Prozent der Ausfuhr geht in die Europäische Union) und kann so die Niederlagen gegen China, Japan oder Russland verschmerzen. Doch wehe, wenn herauskommt, dass auch noch die Schiedsrichter bestochen wurden: Die Erfolge sind gekauft durch nicht gedeckte Kredite der Zentralbank. (Mehr zu den ökonomischen Details im Blog von Daniel Stelter.)

Realwirtschaft als Kunst

Realwirtschaft als Kunst

Fabelhaft

Äsop erzählt von einem Wettstreit zwischen den drei Großbaumeistern der Antike: Zeus, Prometheus und Athene. Jeder schuf etwas und legte es dem olympischen Chefkritiker Momos zur Beurteilung vor. Als dieser das Werk des Prometheus begutachtete, einen Menschen, bemängelte er, dass dessen Gehirn nicht außen am Körper so angebracht worden sei, dass alle Gedanken, die bösen vor allem, gleich abzulesen seien. Wir wissen nicht, was der vorausdenkende Titan geantwortet hat; überliefert aber ist, dass Zeus den obersten Nörgler nach dieser Aktion vom Götterhügel geworfen hat. Was in der Fabel zunächst als ein Konstruktionsfehler bezeichnet wird, ist in Wahrheit das, was den Menschen menschlich macht: dass er sich selbst undurchsichtig ist.

Tra…tlantische Paranoia

Kaum zu glauben, dass die amerikanischen Hersteller gezwungen werden, ihre schönen Kommunikatio…pparate noch vor dem Verkauf zu manipulieren.

Vorauseilende Nachsicht

„Danke für Ihr Verständnis.“ Wer so redet, hat nichts, das er zu verstehen geben wollte.