Es ist Geist …,
… was die Verantwortung von Zuständigkeit unterscheidet,
… worin eine Beziehung der Transaktion überlegen ist,
… was die Neugier zur Grundlage von Innovationen macht,
… warum eine Aufgabe sich nicht darin erfüllt, dass man ein Projekt beendet,
… weshalb ein Gespräch nicht aufhört, wenn zwei nicht mehr miteinander reden,
… der Erfahrung nicht bloß als Routine wahrnimmt und
… in der Offenheit mehr sieht als Transparenz,
… dass eine Funktion das Funktionieren nicht garantiert.
Kategorie: Allgemein
Geist der Wahrheit
Ein Wort wird nicht dadurch lebendig, dass es richtig ist; aber es ist immer richtig, wenn es lebendig ist.
Kopula
Sprechen und Lieben: dass Platon ein „Gastmahl“ inszeniert, in dem das Gespräch über Eros als Redewettkampf angelegt ist; dass die Wort- und Satzverbindung heißt wie die Kopulation; dass es unterschiedliche Grammatiken gibt in frühen Sprachen, eine weibliche und eine männliche; dass der Redefluss und der Gedankenerguss analog vorgestellt sind zum Austausch von Körperflüssigkeiten; dass es in beiden um Befruchtung geht … Allzu viele Verwandtschaften zwischen Sprache und Liebe veranlassen zur Annahme, es könnte das eine die Ausdrucksform des je anderen sein.
Leere Worte
Eine Sprache ist nicht dann tot, wenn sie nicht mehr gesprochen wird. Oft sterben Wörter oder Redewendungen gerade, wenn sie dauernd benutzt werden, allerdings ihrer Bedeutung beraubt. Dann können sie ihre ureigene Aufgabe nicht mehr wahrnehmen: den Sinn zu bewachen. Im Jahr 1938 schrieb der französische Schriftsteller Arthur Adamov in sein Notizbuch: „Wörter, diese Wächter des Sinns, sind nicht unsterblich, nicht unverwundbar.“
Gated Community
Ein altes Formgesetz: Exklusivität ist nichts, was einer Sache anhaftet, sondern nur zu gewinnen, indem man andere von ihr fernhält.

Erstklassig, zweiteilig
Blöde Frage
„Wie geht’s dir?“
„Wenn ich verdränge, geht es mir gut.“
„Wenn man verdrängt, geht es einem immer gut.“
„Das stimmt nicht. Man muss auch verdrängen, dass man verdrängt.“
„Geht es dir also schlecht?“
„Seitdem du mich gefragt hast.“
Entrée
Um einen leichten Einstieg ins Denken zu finden, lohnt meist schon, Konjunktionen durch Präpositionen zu ersetzen, die zwei Begriffe zusammenhalten: Worüber gesprochen wurde? Über Gott und die Welt. Was bedeutete die Antwort nicht alles, wenn man sie variiert: über Gott als Welt, die Welt ohne Gott, Gott für die Welt oder das Weltliche an Gott.
Verschiebungen
In dem Maße, wie man an Lebensjahren zunimmt, wächst in der Vorstellung die Altersdifferenz zu den Gleichaltrigen. Der Kopf erlaubt sich, bei den Altersgenossen einen Grad an Verfallenheit zu bemerken, den er selbst noch lang nicht zu erreichen meint.
Der Hang zum Gründlichen
Philosophischer Lehrsatz: Man sollte eine Sache nicht zu hoch hängen, wenn man ihr auf den Grund gehen will.

„Der Geist ist ein Wühler“ (Jacob Burckhardt)
Gefühlsschwankungen
Aggressiv: Ich mache dich fertig.
Depressiv: Ich werde nie fertig.
Schön – aber auch gut?
Der heimliche Anspruch jedes Schönen an seinen Betrachter: dass dieser den Wunsch, es haben zu wollen, überwindet zugunsten des Willens, es sein zu lassen, dass er das Begehren überführt ins Bewundern. In jeder Schönheit steckt die Anmaßung, mehr zu sein als nur das, was ein einzelner besitzen könnte.
Vertragsschluss
Am Ende einer hakeligen Verhandlungsrunde:
„Danke für Ihr Einlenken. Sie helfen einer notleidenden Branche.“
„Es gibt auch andere, die darben. Bei uns bleibt nie was hängen.“
„Seien Sie nicht kurzsichtig. Selbstverständlich gehört auch Ihnen was: immerhin das Verständnis, dass andere das Geld dringender brauchen.“
Blick in die Zukunft
Die freundlichste Deutung der Hochstapelei: Sie ist ein listiger Vorgriff auf das, was im Leben noch möglich sein könnte.
Nicht nicht. Kommunizieren!
Der Unterschied zwischen Sendepause und Funkstille ist der zwischen Furcht und Angst. Jedes Schweigen, dessen Anfang und Ende nicht angekündigt ist, wirkt umso bedrohlicher, je länger es dauert.

Gefangener der Effizienz: Als es noch nicht auf jede Sendeminute ankam, hat Onkel Otto, das Maskottchen des Hessischen Rundfunks, im Werbeblock dazwischengefunkt
Nichts vergessen?
Das Vergessenwerden schafft die größte Gelegenheit, frei zu sein.
Schon fertig?
Aus dem noch ungeschriebenen Roman:
Seit seiner Konfirmation trägt er die goldene Taschenuhr. Der Vater, ein gründlicher Ingenieur alter Schule, hatte sie ihm damals geschenkt, ein Erbteil, das nun in der vierten Generation genutzt wurde. Es war ihm anfangs wie eine schwer lastende familiäre Verpflichtung erschienen, das Stück Tag für Tag im Hosensack mitzuschleppen. Doch er gewöhnte sich schnell dran. Inzwischen kann er sich nicht mehr vorstellen, um das Handgelenk jemals eines dieser trendigen Messgeräte zu legen, die die Pulsfrequenz, die täglichen Übungszeiten oder den Aufenthaltsort registrierten. Es würde ihn einschnüren, den Atem rauben, die Freiheit gefährden. Seiner Gewohnheit nach schaute er alle halbe Stunde auf den schlichten, in der Einfachheit aber vollkommen schönen Chronographen. Es war fast wie eine Sucht. Er zog die Uhr aus der Jackentasche, klappte den blank polierten, glatten Deckel auf und verschob kaum merklich die Gesichtszüge zu einer Miene, als hätte er gerade erfahren, dass er wenig nur noch zu leben hätte. Doch die aktuelle Zeit kümmerte ihn nicht, im Gegenteil. „So früh noch“, schien er jedesmal zu denken. Sein Leben empfindet er als einen zermürbenden Kampf gegen die Langeweile, den er oft verliert. Eigentlich ist er schon immer fertig. Seitdem er denken kann, kennt er die Antworten. Fragen? Was für Fragen? murmelte er. „Wer Fragen hat, der hat an Willen zu viel, was ihm an Wissen abgeht.“
Führungskompetenz
Eines der größten Missverständnisse im Management: dass als führungsschwach gilt, wer die Kontrolle verliert. Führungsfähigkeit ist vielmehr jenes seltene Talent, das mir erlaubt, in unkontrollierten und unkontrollierbaren Situationen orientierend voranzugehen, so das mir andere mit Überzeugung folgen.
Verguckt oder verliebt
Aus dem Muscle Shirt quillt der tätowierte Bizeps in seiner vollen Pracht. Hier sind alle Klischees erfüllt, denkt der Mitreisende im Zugabteil, als er den hünenhaften Körper betrachtet, einen Zwanzigjährigen, bemalt mit krawalligen Symbolen, Namen und Geschichten. Da fällt der Blick auf die große Sporttasche, und er liest verwundert: „Amour“, in weißen Lettern auf nachtblauem Grund. Ein bekennender Romantiker? Der Fehler klärt sich schnell auf. Als der Muskelberg die Bahn verlässt und sein Gepäck ergreift, ist nun auch der Rest der Buchstaben zu erkennen. Was der Sitznachbar flüchtig als Liebe verklärt hat, heißt vollständig „Under Armour“ und ist eine Trendmarke für Sportklamotten. Der dekorierte Athlet muss die Irritation bemerkt haben. Kurz bevor sich die Tür schließt, schaut er noch einmal zurück und sagt grinsend: „Waffenscheinfrei“. Und der Zurückgebliebene fragt sich, ob der kleine Unterschied eines überlesenen „r“ die Wahrheit der großen Gefühle freigelegt hat: Sie sind lebensgefährlich.
Risikoprofil
Im besten Fall sind Philosophen Unternehmer des Geistes; im schlechten Sinn Philosophieprofessoren Manager des Denkens. Jene suchen das Risiko neuer Ideen, diese folgen den Standards überkommener Einsichten.
Vorbildlich
Muss einer, der von anderen als Vorbild anerkannt wird, mit seinen Worten übereinstimmen? Über den Moralphilosophen Max Scheler wird erzählt, er habe dem Kölner Erzbischof auf dessen Vorhaltung geantwortet, nicht gerade der geeignete Lehrer für die Seminaristen zu sein, weil er Verhältnisse mit drei Frauen pflegte: „Geht denn der Wegweiser den Weg, den er zeigt?“ Es wird nicht überliefert, was der Kirchenmann geantwortet hat, ja ob er überhaupt die Frage erwiderte. Wenn er schlagfertig gewesen wäre, hätte er vielleicht gesagt: „Kann einer Wegweiser sein, wenn er den Weg nicht schon gegangen ist, den er zeigt?“ Es hätte sich gar ein kleiner Wortwechsel entspinnen können, in dem Scheler nun wiederum am Zug gewesen wäre: „Völlig richtig. Diesen Weg habe ich hinter mir.“ So wäre er am Ende unterschwellig zu einer Bestimmung seines Fachs gekommen: Man muss die Moral überwunden haben, wenn man die Ethik denken will.
Mal ganz pragmatisch
Viel deutlicher als die Wahl oder Entscheidung, die immer zuerst ins Spiel gebracht werden, veranschaulicht die Befreiung, was wir mit Freiheit meinen. Wo unversehens die Vergangenheit ihre Schwere verliert und für einen glückhaften Augenblick nur noch Zukunft gilt, scheint jenes Menschlichkeits-Talent auf, das als Inbegriff, besser: Inbild der Freiheit angesehen werden kann: die Fähigkeit, von vorn zu beginnen.
Sola fide
Je näher das große Luther-Jubeljahr 2017 rückt, desto häufiger liest man über das Kernstück der protestantischen Theologie: die Rechtfertigung durch den Glauben. Warum stößt sich eigentlich niemand an der Formel? Wo das Vertrauen als Maßstab einer geglückten Beziehung gilt, fehlen die Bedingungen, die es nötig machen, dass man sich erklären muss. Der Glaube ist das Ende der Rechtfertigung.
Jungbrunnen
Er sah nicht altersgemäß aus. Die meisten hielten ihn für Mitte vierzig und nahmen ihm die zusätzlichen zwei Jahrzehnte nicht ab, die er mit sich trug. Ihm machte das nichts aus. Es verwunderte ihn nicht, und wenn er es sich schmeicheln ließ, dann heimlich. Was ihn störte, waren die Fragen, die immer häufiger kamen, als ob er ein Geheimnis zu lüften hätte: Wie er das mache? Sport, wenig Alkohol, gar Kosmetik? All die früher Gealterten, Frauen meist, suchten nach einer handfesten Erklärung und gaben ihm zu verstehen, dass sein jungenhaftes Leben, seine Unbekümmertheit und stets wache Listigkeit für sie ein uneingestandenes Ärgernis sei. Meist erzählte er dann von seinem Vater, der viel länger lebt. Das beruhigte sie: Na klar, die guten Gene. Und er war zufrieden, dass er sie auf eine falsche Fährte geführt hatte. Denn sagen wollte er ganz anderes: So lang der Vater lebte, konnte er Sohn sein.
Ich war’s. Oder nicht?
Verantwortung ist der Name für den Fall, dass Freiheit nicht nur eine Möglichkeit bleibt, sondern konkret wird, indem sie auf sich selbst entschieden Verzicht leistet. Wer sich verantwortlich weiß, will nicht mehr die Wahl haben, es auch nicht sein zu können.