Das große Ganze

Moderne Gesellschaften und die Organisationen, die in und von ihnen leben, überfordern sich mit dem Anspruch, Würfe und Entwürfe für „das große Ganze“ – nicht zu entwickeln, aber – umzusetzen. Dagegen steht das, was der Soziologe funktionale Ausdifferenzierung nennt, ein Wimmelbild unterschiedlicher und gegenläufiger Aufgaben, die sich stören, ja behindern, dann wieder ergänzen und fördern. Das ist nichts für weitumspannende Pläne, nichts für prinzipielle Problemlösungen, sondern das Szenario, das der Feinstruktur einer überlegenen Strategie würdig ist, die an Komplexität nicht verzweifelt. Der Zeitdiagnostiker formuliert es so: „Eine Gesellschaft tut also, was sie stets tut – sie ist leistungsfähig dort, wo es um konkrete Lösungen geht (und macht dann doch nachgerade unfassbare Fehler), sie ist insuffizient dort, wo es um grundlegende Lösungskonzepte geht (und ist gerade deswegen in ihren unterschiedlichen Funktionen und Logiken so leistungsfähig).“* An Fachkräften mangelt es einer solchen Gesellschaft mindestens genauso schmerzlich, wie es sie einschneidend behindert, wenn ihr Menschen fehlen, deren Fähigkeiten weiter reichen als das Wissen von Spezialisten.

Armin Nassehi, Unbehagen, 91