Der radikale Verlierer

„Was aber geschieht, wenn der radikale Verlierer seine Isolation überwindet, wenn er sich vergesellschaftet, eine Verlierer-Heimat findet, von der er sich nicht nur Verständnis, sondern Anerkennung erwartet, ein Kollektiv von seinesgleichen, das ihn willkommen heißt, das ihn braucht? Dann potenziert sich die destruktive Energie, die in ihm steckt, zu letzter Skrupellosigkeit, es bildet sich ein Amalgam von Todeswunsch und Größenwahn, und aus seiner Ohnmacht erlöst ihn ein katastrophales Allmachtsgefühlt. Dazu wird allerdings eine Art ideologischer Zünder benötigt, der den radikalen Verlierer zur Explosion bringt. Wie die Geschichte zeigt, hat es an solchen Angeboten nie gefehlt. Auf den Inhalt kommt es dabei zuallerletzt an. Gleichgültig, ob es sich um religiöse oder politische Doktrinen handelt, um nationalistische, kommunistische, rassistische Dogmen – jede noch so bornierte Art von Sektierertum ist in der Lage, die latente Energie des radikalen Verlierers zu mobilisieren … Der radikale Verlierer kennt keine Konfliktlösung, keinen Kompromiss, der ihn in ein normales Interessengeflecht verwickeln und seine destruktive Energie entschärfen könnte. Je aussichtsloser sein Projekt, desto fanatischer hält er an ihm fest.“*

*Hans Magnus Enzensberger, Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer, 19ff.