Monat: Juni 2017

Planvoll

Pläne sind ein heimliches Misstrauensvotum gegen das Leben, dem zu viel oder nichts zugetraut wird, niemals aber vertraut.

Keine Angst, der tut nichts

Nettigkeit ist die offensive Variante der Feigheit.

Schöpferische Zerstörung

Die Stabilität der Demokratie hängt wesentlich an ihrer Fähigkeit, sich selbst anzugreifen. Kein politisches System hat so starke konstitutive und zugleich selbstzerstörerische Kräfte; kein anderes gesellschaftliches Format lebt dauerhaft davon, dass es sich wieder und wieder riskiert. Demokratie ist die tägliche Selbstüberwindung, es sich mit ihren Errungenschaften nicht bequem einzurichten. Demokratisch sein bedeutet zu verstehen, dass Engagement eine Pflicht ist, die Freiheit überhaupt erst wirklich sein lässt.

Die Maße des Glücks

Im Glück scheint der Mensch zu ermessen, wie tief das Geheimnis des Lebens ist. Sein Leiden am Unglück lässt ihn aber ahnen, wie abgründig unermesslich diese Tiefe sein kann.

Statisch, dynamisch

„Schön“ ist eine Qualität des Aussehens.
Schöner ist die Faszination der Anmut.
Am schönsten ist es, wenn beide zusammenfinden, wenn Erscheinung und Bewegung eine Anziehung bewirken, die nicht immer interesselos sein muss.

Wer alles sieht, sieht nichts

Der Seher in der griechischen Tragödie ist blind. Was vor Augen liegt, bringt niemanden zum Staunen. Ein wacher Geist lebt von der Naivität; ein müder Kopf quält sich nicht mehr mit Fragen, sobald er meint, die schnelle Antwort zu wissen. Wenn der zweite Blick nicht mehr der Mühe wert ist, erscheint die Welt als eine öde Stätte. Wo ein Mensch aufhört, sich zu wundern, fängt er damit an, rechthaben zu wollen. Was wir am Ende sehen, hängt wesentlich an der Zeit, die wir uns für die Einsicht lassen. Wirklichkeit zeigt sich nur, wenn sie ausgesprochen wird.

Was ist Sinn?

„Sinn“ heißt, was als Zusammenspiel von Bedeutung und Bedeutsamkeit im Leben seinen Platz findet: nicht selten so, dass ein bestimmter Moment, eine überraschende Begegnung, eine wichtige Entscheidung, ein mutiger Schritt vor allen anderen hervorgehoben ist, ohne dass man die Probe darauf machen könnte, warum das jetzt geschieht. Allen unterschiedlichen Erfahrungen von Sinn ist aber eines gemeinsam: Sie spüren Freiheit nicht als Belastung, sondern als Beglückung.

Inkognito

Die von der Wissenschaft bevorzugte Rolle des Beobachters ist bei gesellschaftlichen Anlässen eine meist armselige Figur: anwesend, aber nicht beteiligt. Was beim Beobachter irritiert? Dass er sich hinter seinem Inkognito versteckt. Er will erkennen, jedoch nicht erkannt werden. Und verweigert sich so dem Gespräch, in dem jede Erfahrung nur unter dem Risiko gelingt, dass sie eine persönliche Veränderung verlangt.

Stimmt so

Jedes Lebensalter hat seinen eigenen Selbstbetrug. Der des reifen Alters heißt Erinnerung und hat die Aufgabe, die Lebensbrüche zu kitten, die Knicke im Nachhinein gerade zu biegen, im Ganzen eine Biographie stimmig erscheinen zu lassen, nicht zuletzt für deren Autor selbst. Nur der Vollständigkeit halber: der Selbstbetrug der Jüngeren ist die Idealisierung des Ich durch die eigenen Vorstellungen; der des Mittelalters der heimliche Glaube an die persönliche Unsterblichkeit und Ewigkeit der Kräfte.

Triumph des Neuen

Wir leben in einer Zeit, in der das Originäre vom Originellen abgelöst wird. Das Schöpferische triumphiert über das Geschaffene. Im überlegenen Sieg aber wird es schon substanzlos, weil es, kaum dass es in die Welt gekommen, selber gefährdet ist durch das nächste Neue und ohne Widerstandskraft, da es sich allein legitimiert über die Vernichtung des Althergebrachten, Gewohnten, Vertrauten. Es dauert nicht lang, bis das Originelle bloß originär ist. Das Unerhörte zeigt sich jederzeit bereit, dem bis dahin Unerreichten den Rang streitig zu machen. Alles, was neu ist, stellt implizit eine Kritik dar – nicht nur am Überkommenen, sondern – an einem Lebensstil, der nicht ausschließlich, aber nicht zuletzt auch auf Beständigkeit setzt. Zugleich aber enthält es in den Bedingungen seines überragenden Erfolgs das Gesetz, nach dem es selber wenig später verschwinden muss.

Das ganz gewöhnliche Spiel

Vom ersten Moment an ist die Liebe, trotz gegenteiliger Beteuerungen, ein Machtspiel. Ihren Reiz zieht sie aus den Entscheidungen, die sie findet auf Fragen wie: Wer unternimmt den ersten Schritt? Wie lang lass ich ihn, sie zappeln? Was verrate ich, was vor allem nicht? Welches Terrain gebe ich für ihn, sie auf? Wie viel Zeit schenke ich ihm, ihr? Die Grenzfälle der Antworten auf all diese Probleme reichen stets bis an die Erniedrigung des anderen.

Übermitteln

In der Kommunikation repräsentieren die Präpositionen den Qualitätsstatus einer Beziehung. Mit Menschen zu sprechen sei angeblich besser, als über sie zu reden. So formuliert ist die Regel freilich blanker Unsinn. Ob ein Gespräch gelingt, hängt nicht unwesentlich davon ab, dass es nachwirken kann in der Distanz, dass es Anlass gibt, die Themen weiterzudenken, dass es möglich ist, sich mit anderen über es auszutauschen. Wohingegen ein Miteinander, dem verwehrt ist, dass über das Verhältnis gesprochen wird, allenfalls in der heimlichen Liebelei seinen sinnvollen Platz hat. Und ein Übereinander, das nicht ins Mitsein drängt, in der Gewalt endet: dem Über-Fall. Nicht steht das Über höher als das Mit. Vielmehr ist ein Mit ohne das Über blind (vor Liebe), und ein Über ohne das Mit blind (vor Hass).

Faustformel für den vollendeten Einkauf

{∑€ · (1 – x²) ⁄ P · (1 + x²) + PQ · (1 + x²)} + t · (1 – x) + U · (1 + x) = EE

In Symbolen:
€ = Kosten; P = Produkt; PQ = Produktqualität; t = Zeit im Laden; U = Unterhaltsamkeit des Verkäufers; EE = Einkaufserlebnis

In Worten:
Eigentlich wollte er schnell nur eine heruntergesetzte Hose kaufen. Mit sechs Teilen verließ er schließlich den Laden, nicht einmal peinlich berührt, und hatte gleichwohl durchschnittlich weniger bezahlt als gedacht und kaum länger gebraucht. Die hohe Qualität überraschte ihn, weil er abgelenkt war von der schönsten Unterhaltungsshow, die ihm geboten wurde auf dem kurzen Laufsteg zwischen Grabbeltisch und Umkleidekabine, von der Abteilungsleiterin höchstselbst, die den Spontaneinkauf als Erlebnis inszenierte.

 

Politik, Macht, Einsamkeit

Besuch bei Helmut Kohl am 18. Februar 2008, zehn Tage vor seinem schweren Sturz. Im Gespräch über Freundschaft: „Freund ist für mich jemand, der Anteil nimmt, der einem sagt, nicht nur was man gerne hört, sondern auch was man nicht gerne hört. Man spürt ein Stück Wärme. Man fühlt sich wohl, ist ein Stück zuhause.“ Und ein paar Sätze später über den Gewinn von Macht und das, was man bezahlt, wenn man sie hat: „Der Preis ist auch Einsamkeit.“

Status innocentiae

Nichts fordert die Verantwortung mehr als die Begegnung mit Menschen, denen man mit Fug den Stand der Unschuld zusprechen mag. Sie, die sich nicht selber schützen können, gilt es zu bewahren vor fremden Interessen, versteckten egoistischen Beweggründen, dem alltäglichen Geschäftsgebaren, das auf die Maximierung des eigenen Gewinns zielt und nicht zögerte, andere darüber in Unkenntnis zu lassen. Was als Marketing ökonomisch geadelt ist, verrutscht nicht selten in die Verlogenheit einer Sprache, der die Unbedarftheit nicht gewachsen ist. Es gibt eine uneingestandene Sehnsucht des harten business nach Echtheit und Unmittelbarkeit, die gleichwohl nicht versteht, dass schon das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten für das, was aufs Schönste gedankenfrei und sorglos lebt, existenzgefährdend ist. Was die Idyllen zerstört? Dass wir die Faszination, die von ihnen ausgeht, für eine stille Aufforderung halten, daraus Nutzen zu ziehen.

Klartext

Auch wenn der investment case nüchtern daherkommt und über Kennzahlen durchschaubar und nachvollziehbar gemacht werden soll, steckt hinter jeder Ziffer nichts als ein schlichter Satz. Was mathematisch klar die internal rate of return darstellt oder die Basisvergütung bezeichnet oder die Höhe der Erfolgsprämie für den Fondsmanager ausweist, lässt sich übersetzen in die einfachsten Aussagen: „Ich will, dass du gierig wirst“; „frag an dieser Stelle bitte nicht allzu genau nach“; „Garantien gibt’s keine“; „leg doch noch eine Schippe drauf“; „du brauchst mein Geld, ich brauche dein Schulterklopfen“; „die Sache ist zwar viel zu teuer, aber ein bisschen was muss auch bei mir hängen bleiben“ …

Im Geschwindigkeitsrausch

Die beiden Hauptmerkmale von Intelligenz sind Geschwindigkeit und Ungeduld im Denken.

Gefühlsecht

Nicht selten ist Selbstmitleid die einzige Form der Empathie, zu der Männer fähig sind.

Allein mir fehlt …

… der Glaube: was sich nicht garantieren lässt, weil es geschenkt worden ist.

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Vom Sinn des Nein

Wir haben die Negation erfunden, damit wir in der Gewissheit dessen, was wir mögen, weswegen wir zustimmen, wie wir gestalten, wo wir unser Zuhause finden, wann wir aufbrechen, noch genauer werden. Der Widerstand ist die Probe auf eine Position, die ohne ihn sich auf sich selbst nicht zuverlässig verständigen könnte.

Gedächtnislücke

Je älter ein Erinnerungsstück ist, das einem nach Jahren unbeachteter Mitexistenz unversehens in die Hände fällt, desto weniger mag es Anlass sein, sich einer lang vergangenen Situation zu entsinnen (seltsam präzises Wort: sich der Sinne entledigen). Aber ihm gelingt, sich an die Stelle der Erinnerung zu setzen, sie zu besetzen, ja zu ersetzen. Der schwarzweiße Photoabzug mit gezacktem Rahmen ruft einen Moment aus der Frühzeit des eigenen Lebens zwar nicht hervor, auch wenn man meint, mit Hilfe des Bildes eine Geschichte wachgerüttelt zu haben, die sich nun ganz genau wiederbeleben lässt. In Wahrheit ersetzt die belichtete Szene nur die fehlende Vorstellung; der Rest ist eigenmächtige Phantasie bis in die sinnlich wahrgenommenen Gerüche hinein, die zu diesem repräsentierten Milieu gehören könnten. Erinnerungsstücke erinnern oft nicht, aber sie füllen die Gedächtnislücke.

Nackter als im Sonnenbad

Jeder Auftritt vor Publikum ist ein Kalkül mit dem Scheitern. Dem Risiko einer öffentlichen Niederlage entspricht unmittelbar der Mut, sich auf eine unkontrollierbare Situation einzulassen. Im Glücksfall wird er belohnt mit tiefsten Erfahrungen von Lebendigkeit; im Moment des Misslingens bestraft mit der stärksten Kränkung, die Menschen erleben müssen: der Beschämung. „Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache – da steht der Mensch nackter als im Sonnenbad“, bemerkt Kurt Tucholsky.*

Ratschläge für einen schlechten Redner, 1930

Guckloch

Neugier: in die Beobachtung hinein kanalisierte Leidenschaft.

Kaum zu glauben

Die Philosophie sei ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache, heißt es im § 109 der „Philosophischen Untersuchungen“ von Ludwig Wittgenstein. Doch wie diese Auseinandersetzung führen? Und was sind die Mittel der Sprache, durch die sie das klare Denken verführt? Wortverschiebungen sind es im letzten, die Scheinprobleme ergeben, die in dem Moment ihre Sinnlosigkeit zeigen, in dem sich die Bedeutung eines Begriffs differenziert beschreiben lässt. Wenn das Denken streitet, wählt es als Waffe sein Talent, scharf zu unterscheiden. Wieviele Missverständnisse verschwinden, wenn nur genau genug festgehalten wird, worüber zu befinden ist. Am Beispiel des Glaubens und dessen, was „Glaube“ alles heißen kann, mag das anschaulich werden: Der Glaube, der nicht Wissen ist und mehr als Meinen sein will, hat mit dem Glauben, der sich auf Menschen verlässt, so wenig zu tun, wie dieser mit jenem Glauben, von dem die Theologie sagt, dass er sich selbst nicht willentlich inszenieren kann, sondern sich einem Größeren verdankt. Religion ist kein Fürwahrhalten, Wissenschaft kein Ersatz für das Vertrauen als Grundform menschlichen Zusammenlebens und das Glück einer zuverlässigen Beziehung nicht mehr eine riskante Erfahrung.