Monat: Januar 2018

Meins bleibt meins

„Wenn wir doch nur wieder Fremde sein könnten …“ So steht es auf der Karte, die der getrennte Ehemann seiner Frau schickte; beide sind sie gezeichnet vom Trauma, das der Tod ihrer Tochter ausgelöst hatte. Es ist die Schlüsselszene in „Verborgene Schönheit“, einem Weihnachtsfilm, Rührung garantiert. „Wenn wir doch nur wieder Fremde sein könnten …“ So müsste es gewünscht sein vor den Sondierungsgesprächen, die heute beginnen mit dem Ziel, wieder zu einer Großen Koalition zu finden. Was sonst sollten Sondierungen für einen Sinn haben, wenn nicht den auszuloten, was der andere im Sinn hat? Man hat ihn also wie einen Fremden anzuschauen, auch wenn er seit Jahr und Tag bestens vertrauter Partner in Regierungsgeschäften ist. Ob das geht? Es ist das Gesetz glücklicher Beziehungen: Den anderen immer wieder wie einen Fremden wahrzunehmen, damit das Vertrauen wachsen kann und nicht das Vertraute plötzlich fremd erscheint.

Nimm es nicht persönlich

Die Übersetzung des Satzes „Nimm es nicht persönlich!“ lautet: Lass es für dich nicht bedeutsam sein. Die Schwierigkeit ist, dass man darüber selbst nicht entscheiden kann.

Geschenkt

Der wichtigste Unterschied zwischen Heiterkeit und Trübsinn ist die Weise, wie sie weitergereicht werden: Die gute Laune lässt sich schenken und ist weniger ansteckend; die schlechte hingegen wirkt schnell epidemisch, taugt aber nicht als Gabe und Zuwendung. In einem seiner üblicherweise knappen Stücke schreibt am 8. Januar 1910 der wunderbare Emile Chartier, der unter dem Namen Alain publizierte, über den Brauch der Neujahrsgeschenke: „Ich wünsche Ihnen gute Laune. Eben die müsste man schenken und geschenkt bekommen. Das wäre eine Aufmerksamkeit, die sowohl den Empfänger wie den Geber reich machte.“*

* Die Pflicht glücklich zu sein, 195

Ach, Du

Das Hipster-Du, die unkomplizierte Attitüde, setzt sich immer mehr auch in anderen Lebenssituationen durch, am Bankschalter wie bei der Fahrzeugkontrolle. Es ist der kommunikative Ausdruck einer der Haupteigenschaften digitaler Welten: der des schnellen und ungehinderten Zugangs zu allem. Access heißt das Leitmotiv, jederzeit und allerorten. Das erleichtert nicht nur die Geschäfte, die online sich fast reibungsverlustfrei abwickeln lassen, sondern schenkt auch ein Übermaß an Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen, Kontakte zu knüpfen, von ungezählten Spielformen bis zur Reise durch die Unendlichkeit virtueller Realitäten. Was soll da ein umständliches „Sie“? Doch wie stets zahlt man einen heimlichen Preis für das, was man gewinnt. Mit dem Verlust des Widerstands kommt auch jene Fähigkeit abhanden, sinnvoll zu unterscheiden, die elementar ist für die Ausbildung von Geschmack, die Feinsinnigkeit eines Gedankens oder die Sicherheit eines Urteils. Jedes Sie, ob vertraut oder fremd, ist dem Du haushoch überlegen, wenn es darum geht, die schier unendlichen Varianten von Sozialbeziehungen auszuloten. Es ist die kleine Obstruktion und Verzögerung im Zugang, die alle Arten der Differenziertheit und damit den Reichtum des Zusammenlebens schafft. Hier gilt die Regel: je geringer die Signalstärke sprachlicher Vertrautheit, desto klarer die Formunterschiede im Umgang.

Freundschaft

Wie ehedem die wichtigste Eigenschaft des Freunds gewesen ist, Spielkamerad zu sein, so ist seine Hauptaufgabe mit wachsendem Alter, man möchte fast entsprechend sagen: als Ernstkamerad beizustehen. Die Rolle des Freunds ändert sich mit der Zeit, ohne dass man die Freunde wechseln müsste. Sie ist umfassend und reicht von dem, mit dem man Pferde stiehlt, Pfade findet, Pfunde hebt, Pfründe verteidigt, den übrig gebliebenen Pfennig teilt, bis zu jener letzten Pflicht, die keine ist: wider das Vergessen einzutreten, wenn man sich selbst nicht mehr in Erinnerung bringen kann.

Schicksalshaftung

Es sind jene Augenblicke, in denen wir verstehen lernen, dass sich aus einer Lebenssituation nicht allein erschließen lässt, was sie bedeutet, die uns verleiten, von Schicksal oder einem Los zu sprechen, dem wir ausgesetzt sind. Früher als geschichtsphilosophische Macht anerkannt, die Menschen mit Notwendigkeit durch deren Biographie führt, nicht selten tragisch, ist das Schicksal heute ein Ausdruck der Interpretationsbescheidenheit: Wir erleben, dass eine Erfahrung absolut bedeutsam geworden ist, ohne dass wir hinzufügen könnten, warum. – Mehr dazu in SWR 2 um 17:05 Uhr. Vom Schicksal befreit – Wie autonom ist der Mensch? 

Auf zu neuen Ufern

Damit vieles möglich wird, darf nicht alles Mögliche möglich sein.