Monat: April 2019

Lang nicht gesehen

Nur die Freundschaft braucht nicht jene Selbstbestätigung, die der Liebe Kraft und Dauer schenkt. Weil sie im tiefsten unselbstverständlich ist – es gibt weder Trieb noch Grund, sich zu befreunden – erlangt sie mit der Zeit eine Selbstverständlichkeit, die auf Vergewisserung verzichtet und gelingen lässt, dass zwei, die sich lang nicht gesehen haben, dennoch einander begegnen, als seien sie gestern erst auseinandergegangen. Vergangenheit und Zukunft, Geschichte und Perspektive, Erlebtes und Erwartetes werden in der Freundschaft verdichtet zum Glück unmittelbarer Präsenz.

Partnerschaften

Viel Ärger ersparte man sich, wenn man die Geschäftspartnerschaften als so verbindlich betrachtete wie Lebenspartnerschaften und die Lebenspartnerschaften so gewinnorientiert ausrichtete wie Geschäftspartnerschaften.

Reichlich begreiflich

In der ihr eigenen Radikalität hat Simone Weil die logische Schärfe herausgestellt, zu der auch die genaue Bestimmung gehört, wo der Verstand seine Grenze hat: „Das Unbegriffene verbirgt das Unbegreifliche“, schreibt sie. Und fügt hinzu: „Deshalb muss es beseitigt werden.“* Man nimmt den Exaktheitsgestus wahr, in dem auch der „Tractatus“ geschrieben ist und in dem Wittgenstein dem Mystischen schließlich einen Platz freigeräumt hat. Nicht vor der Zeit aufhören, ist der Anspruch; eine Sache kategorial und konsequent weiterdenken, die Aufgabe, bis es nicht mehr geht, nicht zuletzt um zu erkennen, was sich nur so sagen lässt, dass es nicht zu fassen ist. Das Staunen ist hier nicht am Anfang, sondern am Ende des Denkens verortet. Zu dieser Gedankenstrenge gehört aber auch, im Begriff das Unbegriffliche zu suchen, um die Worte nicht zu verlieren für das, was zwar nicht begriffen, aber beschrieben werden kann: Die Erzählung, das Metaphorische ist der sprachliche Ort der religiösen Erfahrung.

* Cahiers. Aufzeichnungen. Dritter Band, 340

Im Zwischenraum der Sprache

Es ist eine theoretische Trivialität, das Verstehen nicht allein mit dem Verständnis und über den Verstand zu erklären. In den Zwischenräumen der Sprache, in unwillkürlichen Gesten, der Betonung eines Worts, dem, was eine Gesprächsatmosphäre heißt, erschließt sich, ob man einer Sache innewird und sie einsehen kann. Jeder, der bemerkt, wie ein kleiner Konflikt durch den schlichten Text eines Maildialogs aufbricht, wünscht sich, es könnte sich digital erschließen, wie die Worte gemeint waren. Da hilft auch die Überfülle der Emoticons nur begrenzt. Wir wissen das alles; und sind doch abhängig von den feinnervigen Sensoren für analoge Zwischentöne.

As you like it

Alle großen Entscheidungen haben die Eigenschaft, die Menschen zu überfordern, die sie fällen müssen. Es käme nie zu einem Entschluss, wäre der Preis nicht zu hoch, nicht zu wählen. Warum sollte man sich bewegen, wenn der Stillstand bequem ist. In verfahrenen Verhandlungen kommt man nur zu einem Ende, indem man stetig die Konsequenzen bis zur Unerträglichkeit steigert für den Fall, dass keiner bereit ist, die Sache sinnvoll abzuschließen. Zu verweilen muss stärker schmerzen, als zu handeln.

Das Nachtrauerspiel

So viele Menschen leben im Konjunktiv, weil sie einer falschen Entscheidung nachtrauern und sich wünschen, es könnte das Leben, die Arbeit, ein Spiel andern verlaufen sein. Was ihnen fehlt, ist die Chance zur Selbstdarstellung, die in aller Gewissheit des Eigenen mit einer Trias des lauten Triumphs auftritt: Ich bin wer; ich kann was; schaut her, was ich habe. Das lässt sich nicht in den Konjunktiv übersetzen, ohne unfreiwillig komisch zu wirken: hätte, könnte, wäre. Wie es auch keine Antwort erwartet, sondern allenfalls bewundernde Zustimmung. Interessanter freilich ist das ungelebte Leben allemal, wenn es zum Vorschein kommt.