Monat: März 2019

Du bist wunderbar

Der peinliche Zwang, sich zu wichtig zu nehmen, schwindet in dem Maße, wie die anderen in der Wertschätzung nicht zögern. So viele, vielleicht alle Probleme, mit denen Menschen sich auseinandersetzen, haben letztlich zu tun mit dem Fehlen von Anerkennung. Dieser Mangel macht sie anfällig für boshafte Einflüsterungen, grenzenlose Selbstüberschätzung, das abgründige Gefühl der Sinnlosigkeit. Die Formel für die existenzielle Untiefe schlechthin, die zum düsteren Leitmotiv der griechischen Tragödie geworden ist – besser, wenn dieser Mensch nie geboren worden wäre –, verliert jede Kraft in dem schönsten aller Augenblicke, in dem einer sich selbst ohne Arg annimmt, weil er sich bedingungslos akzeptiert weiß. Erlösung lässt sich so übersetzen: als uneingeschränkte Zustimmung zu sich, weil ein anderer fraglos Ja gesagt hat. Da fällt die Selbstliebe mit der Liebe zum Leben zusammen.

Gute Laune

Wenn es eines Beweises bedürfte für die erkenntnistheoretische Annahme, dass wir die Welt nicht einfach nur naiv vorfinden, sondern jene Wirklichkeiten erst schaffen, die uns zu schaffen machen, dann schaue man auf die Ansteckungskräfte der Freude. Gerade wenn es wenig Anlass gibt, sich an der Weltlage oder den eigenen Lebensmomenten zu ergötzen, kann der Frohsinn verkehrte Verhältnisse grundlegend verwandeln. Der Konstruktivismus hat am meisten recht, wo er von den unwiderstehlichen Verwandlungskünsten der guten Laune handelt.

Was willst du, Großbritannien?

Sätze zur Situation der Zeit:
Nichts kostet mehr Willenskraft, als herauszufinden, was man wirklich will.
Es erschöpft so sehr, dass am Ende die Tat zu schwer erscheint.
Man kann nicht nichts wollen. Aber man kann das Nichts wollen.

Unentschieden

Das Unentschieden als Resultat zu akzeptieren, ist ein Vorrecht etlicher Sportarten, die mit dem Abpfiff, der beschränkten Geltung des Regelernstes, dem Spiel überhaupt erst seinen Charakter als lebensähnlichem Wettkampf geben. Keinen Sieger bestimmen zu können, und das zu akzeptieren, ist nur denkbar, wenn der Respekt vor der Zeit, und somit der Endlichkeit, groß genug ist und die Achtung der Fairness als unumstößlich gilt. Die Befristung zwingt zu einem Ergebnis; das Reglement nötigt, es nicht mit unlauteren Mitteln herbeizuführen. Beides bedingt einander. Wo dennoch am Ende eine Nummer eins zu küren ist, sieht die Ordnung eine Ausnahme vor, als besonderen Regelfall: das Elfmeterschießen, den sudden death, den Losentscheid. Ob die Politik daraus lernen könnte für alle Ausweglosigkeiten ihrer demokratischen Verpflichtung? Demokratie kennt den Sonderfall des Patts, das kollektive Unentschieden bei noch so großer individueller Entschiedenheit. Aus genereller Furcht vor der Zwangsherrschaft entzieht sie sich, freilich à la longue vergeblich, der Diktatur der Zeit und pflegt das Ideal gewaltfreier unendlicher Kommunikation, die allerdings nur so lang ideal ist, wie nichts zur Tat drängt. Statt zu handeln, wird weiter verhandelt. England macht gerade vor, wie geht, was nicht geht (das endlose Reden), und nicht geht, was gehen sollte (das entschlossene Handeln). Nur, dass dieser Status der Unschlüssigkeit kein fortgesetzter Zustand sein kann im Politischen, einem Metier, das sich um nichts anderes kümmert als die sinnvolle Organisation des gemeinsamen Agierens. Es wird ausgehen wie Spiele, in denen der Respekt vor der Zeit verlorengegangen ist. Um ein Unentschieden zu vermeiden, werden schließlich auch die Regeln missachtet.

Strahlemann

Die Erfahrung lehrt, zu jeder hellen Seite auch den Schatten zu suchen, nicht nur im Gegenständlichen, auch in der Seele. Menschen mit überragenden Talenten müssen daher oft den Argwohn der anderen erdulden, die nach versteckten Abgründen und Untiefen suchen. Die mag es tatsächlich geben; nicht ausgeschlossen ist aber, dass das, was alles überstrahlt, so glänzend erscheint, weil es der Lichtquelle entstammt. Nicht jedes Genie ist engelsgleich. Aber „übermenschlich“ ist nicht nur die Bezeichnung für die eine oder andere Anstrengung, sondern auch für manche reine Begabung.

Wie ungerecht ist das Recht?

Der stillste unter den Triumphen, die nicht zur Schau gestellt werden, erzeugt den lautesten Schrei des Unmuts und der Ohnmacht. Es ist jene Art der formalen Unschuld, die genau weiß und von der die anderen tief ahnen, dass sie sich auf nichts berufen kann als das, im Wortsinn, unverschämte Glück, nicht ertappt worden zu sein. Jeder sieht es besser; und doch darf keiner sagen, an welchem Stecken der Dreck hängt. Solche starken Gefühle der Handlungslähmung haben zur Erfindung von Moral und Religion geführt, die mit ihren höchsten Instanzen der Gerechtigkeit, welche immer als ausgleichende vorgestellt wird, und des Gewissens der Schwäche des Rechts beizukommen suchen. Nur politisch dürfen sie nicht werden. Sonst gilt, was Nietzsche den frommen Eiferern ins Stammbuch geschrieben hat: Vor der Resignation kommt das Ressentiment.

Brotlose Kunst

Nie war die Redewendung von der brotlosen Kunst zutreffender als im Zeitalter der digitalen Plattformen und wachsender künstlicher Existenz. Das hat weniger mit der Verwertung von fremdem geistigen Eigentum zu tun, gesetzeskonform oder unrechtmäßig, als mit der schwindenden Fähigkeit, zwischen Original und Kopie scharf zu unterscheiden. Wenn von Algorithmen gesteuerte Maschinen Gedichte produzieren oder Zeitungsartikel, Meisterwerke detailgetreu bis zur Verwechselbarkeit nachmalen, für Filme die dramaturgisch aufregendste Formel errechnen und Hits komponieren, wenn das alles schneller, effizienter, ertragreicher ohne Menschenhand geschaffen werden kann – wer gibt sich dann künftig die Mühe, sucht soziale Entbehrung, riskiert seine bürgerliche Existenz, um Kunst zu schaffen, die in seltenen Fällen von anderen als groß anerkannt wird? Es ist nicht zu utopisch gedacht, dass das Urheberrecht bald schon deswegen nicht mehr angewandt werden kann, weil der Nachweis immer schwieriger zu erbringen ist, wer der erste Autor gewesen ist. Und nicht mehr angewandt werden muss, weil die Autoren nicht mehr existieren, die das Recht für sich in Anspruch nehmen wollten.

So nicht

In jeder Organisation muss es Instanzen geben, deren vornehmste Aufgabe darin besteht, die Handlungsfähigkeit aller aufrechtzuerhalten, die sich nicht zuletzt zusammengeschlossen haben, weil sie meinten, so besser agieren zu können. Im Idealfall übernehmen der Vorstand oder eine Regierung diese Pflicht. Was aber, wenn diese versagen? Die Weltlage zeigt derzeit etliche Lehrbeispiele, in denen Politik und Ökonomie erinnert werden an das, was sie einst ins Leben rief: das Politische, der Handlungswille, der sich einer Haltung verdankt. Das hat der Untersuchungsbericht zur amerikanischen Präsidentschaft gemeinsam mit den Putschgerüchten in der britischen Regierung, ja mit dem Aufstand der Angestellten gegen eine wirtschaftlich unsinnige Bankenfusion.

Die Siege der Frechheit

Eine der wichtigsten Waffen der Macht ist ihre Schnelligkeit. Was im gewaltarmen Sprachgebrauch noch in Erinnerung an körperliche Auseinandersetzungen Schlagfertigkeit heißt, gelingt verblüffend oft als Überrumpelung einer Mehrheit durch wenige, die keine Scheu haben, Hemmnisse leichter überwinden, mit Rücksichtslosigkeit vorgehen. Bis sich Gegnerschaft formiert hat, sind sie weitergezogen und hinterlassen den schalen Eindruck, sich nicht angemessen gewehrt zu haben, ja dass im Ernstfall schiefgehen könnte, was nie geschehen dürfte. So holen sich rechte Randgruppen ihre gar nicht nur kleinen Erfolge; so glaubt ein narzisstisch gestörter Regent durch ostentative Unverschämtheiten sich ins Recht zu setzen. Wehret den Anfängen, das ist eine lebenskluge Einsicht, die weiß, dass die meisten Machtkämpfe nicht auf den großen Schlachtfeldern entschieden werden, sondern dort, wo sie als solche noch nicht recht erkennbar sind.

Heile Welt

Alle Nostalgie verklärt weniger die Vergangenheit, als dass sie die Sehnsucht formuliert, die Welt könne wieder heil werden. Von der Utopie unterscheidet sie sich nur darin, dass sie der Zukunft die Wirkkraft und die Vorstellungskraft nicht zutraut, jenen erwünschten Status zu erreichen. Mangels nach vorn gerichteter Phantasie erträumt sie sich ein Bild vom Gewesenen, das aus folkloristischen Details und einem ornamental geschmückten, künstlichen Heimweh zusammengebastelt ist und zur unpolitischen Weltflucht einlädt. Auch die Nostalgie schafft einen Unort, nur dass dieser, anders als bei der Utopie, durch Fasslichkeit verführt.

 

 

Weitgereist

Von wem wurde eigentlich jener Satz erfunden, der einer ganzen Branche, dem Tourismus, zum rechtfertigenden Leitmotiv geworden ist: Reisen bildet? Von einem Reisenden oder einem Gebildeten? Goethe hat in einem Brief an Schiller eine eindeutige Antwort gegeben: „Für Naturen wie die meine, die sich gerne festsetzen und die wichtigen Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar; sie berichtigt, belehrt und bildet.“* Denn die Reise gleiche einem Spiel, in dem es immer Gewinn und Verlust gibt, man aber meist mehr empfange, als man erhoffte. Voraussetzung sei, dass die langweiligen Zeiten der Bewegung (in der Kutsche), der Überfahrt genutzt werden, um jene Phasen der Zerstreuung vor Ort abzulösen mit der Arbeit an sich selbst und dem Erfahrenen. Reisen bildet also, so der in die Schweiz gefahrene Dichter, aber nur die Gebildeten.

* Brief aus Stäfa vom 14. Oktober 1797, in: Hamburger Ausgabe, Briefe. Bd. 2, 311

Darf ich vorstellen?

Die höfliche Wendung – als Frage getarnt, die auf Antwort nicht erst wartet –  „Darf ich vorstellen?“ ist so galant gar nicht. Alles, was vorstellt, stellt sich auch davor und verstellt, was es vorstellt. Menschen, die ihre Begleitung ins Gespräch bringen mit Worten, deren persönlicher Färbung man ausgeliefert ist, ob sie treffen oder verfremden. Bilder, die darstellen wollen, was ist, und sich so zwischen Welt und Betrachter frech setzen. Hinweise, die nach Interpretation verlangen, Erzählungen, Beschreibungen, Nachrichten. Eine Sache bekannt zu machen bedeutet, den Zugang zu ihr in dem Maße versperren, wie man ihn öffnet. Der Wunsch nach Unmittelbarkeit, nach unbeeinflusster Zuwendung entstammt der Phantasie; und muss dort bleiben.

Das Loch im Herzen

Treulosigkeit ist eine Sonderform des Vergessens. Das Loch im Herzen ist kein Organfehler; es zeigt sich als Erinnerungslücke.

Wenn alle wüssten, was sie wissen

Auch Unternehmen haben ein Unterbewusstsein. So manches von dem, was sie als lästigen Zuwachs an Komplexität erfahren, ist bei genauerem Hinsehen gar kein Kalkül, das mit etlichen unbekannten Größen zurechtkommen muss, sondern die Irritation über die Wiederkehr des erfolgreich Verdrängten. Je vielschichtiger die Welt, desto größer nicht nur die Wahrscheinlichkeit des Unvertrauten, sondern auch dass wir allzu Bekanntes nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Fridays for Future

Verkehrte Welt: Weil die Elterngeneration eigennützig regrediert und in ihrer Verantwortung für die Kinder versagt, ergreifen die Kinder das Wort und reden wie Eltern, ja Großeltern in Sorge um ihre Enkel. Das vielleicht viel größere Vergehen der Erwachsenen jedoch ist, den Jugendlichen deren Gegenwart nicht zu lassen, die sie brauchen, um zuversichtlich Zukunft zu ergreifen. Aus Mangel an Initiative der Altvorderen sehen diese sich gezwungen, auf das zu verzichten, was ansteht (Unterricht nämlich, Lernzeit)*, und die ihnen zustehende Sorglosigkeit einzutauschen, indem sie einstehen für das, worauf sie aus guten Gründen nicht verzichten wollen.

* „Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future?“ – Greta Thunberg

Schwarzweiß-Malerei

Bilder wecken das Interesse in dem Maße, wie es neben dem, was zu sehen ist, auch etwas zu denken gibt (weil es nicht zu sehen ist). Das mag die heimliche Faszination erklären, die im Zeitalter der hochauflösenden Farbfotografie und des dreidimensionalen Films wieder Ablichtungen populär sein lässt, in denen, und sei es durch digitale Filter, eine Sache über Grauwertabstufungen dargestellt ist. Und es kann jenen imaginären Punkt beschreiben, an dem abstrakte Malerei sich löst von der Frage, was sie bedeuten will.

Preisschraube

Auch das Selbstbewusstsein hat seinen Preis. Nichts treibt das Honorar stärker in die Höhe als freche Höflichkeit, mit der es seine Forderung vorbringt. In einem freien Markt, in dem die Bezahlung nicht über eine Gebührenordnung geregelt ist, gibt nicht zuletzt Chuzpe den Ausschlag, wie hoch die Vorstellungen geschraubt werden können. Der Rest ist Qualität. Je unerschrockener, bis hin zur leichten Dreistigkeit, Tagessätze oder Monatspauschalen in die Verhandlung eingebracht werden, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass charmante Penetranz und intelligente Unwiderstehlichkeit sich am Ende vertraglich durchsetzen. Bescheidenheit ziert das Persönliche, nicht das Professionelle.

Warum der Fußball fasziniert

Jenseits der sportlichen Attraktion lässt sich im Fußball begeistert eine Einseitigkeit und Parteilichkeit inszenieren, die im alltäglichen Leben jeden aufgeweckten Geist in höchste Verlegenheit brächte. Als Anhänger einer Mannschaft muss er die Vielzahl an Perspektiven ausblenden, die einzunehmen nicht nur sonst möglich wäre, sondern geradezu geboten. Für ihn gibt es nur eine Wahrheit, nur seine Meinung, nur diesen Standpunkt. Lächerlich machte sich ein Fan, der redete wie ein halbwegs informierter Wissenschaftler, der eine Sache ausdifferenziert betrachtet und bis zur eigenen Desorientierung behauptet, man könne sie so und so sehen; und noch ganz anders. Eingehüllt in den Vereinsschal verliert der Zuschauer die Rolle des neutralen Beobachters. Er leidet mit, schreit seine Mannschaft heiser zum Erfolg, verschmilzt mit den Spielern an einem magischen Abend taumelnd zu einem Klumpen der Ausgelassenheit. Trotz der vielen Helden und ungleich verteilten Talente im Stadion ist der Fußball wie kaum anderes geeignet zu vermitteln, wie schön und beglückend das Stadium vor der Indivuation gewesen sein mag. Regrediert zum Massenmitglied ist für den Spielfaszinierten die Welt wieder einfach, sind die Beziehungen klar, die Ziele ausgemacht. Für den Augenblick von neunzig Minuten ist das Leben reduziert auf schlichte Alternativen: Triumph oder Niederlage, Freude oder Betrübnis, Freund oder Unverständnis – „Eintracht vom Main, nur du sollst heute siegen“*.

* Refrain der Hymne von Eintracht Frankfurt 

Ohne zu

Eschatologische Sätze behandeln Hoffnungen, deren Erfüllungswahrscheinlichkeit in so ferner Zukunft liegt, dass nicht erkennbar ist, ob sie eine Zukunft haben. Das vielleicht bekannteste unter diesen Worten stammt aus dem Testament und ist zum gesellschaftspolitischen Leitmotiv geworden. Beim Propheten Micha heißt es, dass die großen Völker „ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen“ werden. (Micha 4,3) Sie, diese Erwartungen, handeln von glücklichen Zeiten und unbekannten Orten, solange die Frage unterschwellig bleibt, wann und wo das denn sein werde. Und allesamt sind sie strukturiert nach der Logik des „ohne zu“: Schwerter sind zu gebrauchen, ohne Kriege zu führen, mit Spießen lässt sich arbeiten, ohne Streit zu säen. Solche Vorausnahmen, auch die am wenigsten offenkundigen, sind wichtig. „Ein Bewusstsein ohne Erwartung wäre ein solches, das aus absoluten Überraschungen bestände.“* Man muss sich nur im Klaren sein über die Qualität von Formeln dieser Art. Kritisieren, ohne zu verletzen; managen, ohne das Unternehmerische zu vergessen; aus einer politischen Gemeinschaft austreten, ohne deren Vorteile zu verlieren: das alles klingt zwar verheißungsvoll, ist aber so realitätsfremd wie das berühmte Waschen, ohne nass zu machen. Eschatologische Sätze taugen vielleicht als regulatives Ideal einer Handlung, nie aber als Handlungsanweisung.

* Hans Blumenberg, Phänomenologische Schriften 1981 – 1988, 411. Der Autor fügt hinzu: „Die Frage ist dann, ob und wie dies der Bestandsfähigkeit des Bewusstseins zusetzen würde.“

Kann ich dir vertrauen?

Nicht zuletzt an der Konsequenz, mit der jemand sein Leben führt, bildet sich das Vertrauen aus, das ihm entgegengebracht wird. Solche Folgerichtigkeit schlägt trittsichere Brücken zwischen Wort und Tat. Löst einer sein Versprechen ein; lässt er nach der letzten Androhung nicht nach, wenn Strafe geboten ist; erfüllt er Erwartungen an Hilfe oder Trost? Das sind die impliziten Fragen, die prüfen, ob es lohnt, auf Verlässlichkeit unbedingt zu setzen – nur um mit dem so errungenen Überschuss an Gewissheit auch jene Momente zu überstehen, in denen es an der Stimmigkeit im Handeln hapert.

Professionelles Arbeiten

Es gibt Formen der Professionalität, die fast jeden Beruf langweilig erscheinen lassen: die Kenntnis von Standards, Prozesssicherheit, der routinierte Umgang mit Unerwartetem, die weitgehend überraschungsfreie Gestaltung der Abläufe. Erfahrung bedeutet, von einer Selbstgewissheit getragen zu sein, die zureichend viel schon erlebt hat. Und es gibt jenen künstlerischen Angang an die Sache, dem das alles fehlt, weil er Regeln bricht, die eigene Technik mit jeder neuen Aufgabe radikal in Frage stellt, das Widerständige liebt, Anfänge sucht, von seiner Zuneigung zu Naivität lebt. Der Künstler kann vieles sein, nur nicht professionell; gerade wenn er sein Handwerk vollkommen beherrscht.

Heilfasten

Man sollte die Fastenzeit einleiten mit dem festen Vorsatz, sich weniger schlechtes Gewissen zu leisten. Nicht um nach Gutdünken zu tun oder zu lassen, was einem gerade so willkürlich einfällt, sondern um, soweit noch nicht zerstört, unser hochfeines Orientierungsorgan vom moralischen und pädagogischen Ballast zu befreien. Eine so gereinigte handlungsleitende Urteilskraft besitzt nämlich ein sicheres Gespür für das, was mit Fug gut zu heißen verdient.

Abschiedsstimmung

Nichts macht so verlegen, wie einen Abschied gut zu inszenieren. Das beginnt schon damit, den richtigen Zeitpunkt zu finden, der stets willkürlich gewählt ist – auf dem Erfolgszenit, kurz vor Toresschluss, aus Angst vor dem Abstieg, der Degeneration, bei den ersten Anzeichen der Nachlässigkeit und des Überdrusses? Und es hört nicht auf bei der Art, ein Verhältnis zu beschließen – nur gemeinsam oder souverän, selbstbestimmt, still, mit großem Tamtam, abrupt, besser vielleicht: schleichend, erschöpft oder mit aller Kraft? Da kann es kein gelungenes Vorbild geben. Nicht zuletzt, weil jedes gesetzte Ende nur verrät, dass das Ende noch nicht gekommen war.

Eine deutsche Frage

Nur einer deutschen Seele konnte jene Frage einfallen, die den Titel für eine der ältesten und langlebigsten Fernsehsendungen hierzulande gibt: Verstehen Sie Spaß? Und die mit versteckten Ton- und Bildaufnahmen sich an jenem Gefühl ergötzt, von dem schon Schopenhauer meinte, es gebe „kein unfehlbareres Zeichen eines ganz schlechten Herzens und tiefer moralischer Nichtswürdigkeit“*: der Schadenfreude. Das kann man nur verstehen, wenn man den anderen deutschen Imperativ kennt, der zum Schlagergemeingut geworden ist: Ein bisschen Spaß muss sein! Ohne das Leid der anderen und den Befehl geht es nicht vergnüglich.

* Über die Grundlage der Moral, in: Sämtliche Werke Bd. III: Kleinere Schriften, 731